Deutschlands populärste Volksschauspielerin, Inge Meysel, ist tot. Die als "Mutter der Nation" bekannt gewordene Schauspielerin starb am Samstagmorgen im Alter von 94 Jahren in ihrem Haus in Bullenhausen bei Hamburg, wie ihr Betreuer und Manager Peter Knuth sagte. "Inge war bis zuletzt bei Bewusstsein und starb letztlich friedlich im Schlaf. Sie hatte keine Schmerzen, als sie von uns gegangen ist", so Knuth in der "Bild am Sonntag". Meysel habe einen Herzstillstand erlitten.
Nationale Popularität errang sie in den 60er Jahren. Während der Ehe mit ihrem zweiten Mann, dem Regisseur John Olden, drängte sie in Charakterrollen, und eroberte wenig später das Fernsehen. Ihren Durchbruch schaffte sie 1959/60 in dem Stück "Das Fenster zum Flur" als Portiersfrau mit hohen Ambitionen für ihre Kinder. Diese Rolle brachte ihr später den Ruf als Mutter der Nation ein. In den letzten 40 Jahren spielte sie in mehr als 100 Fernsehproduktionen, darunter war auch ihre Paraderolle als Putzfrau "Ada Harris".
Oft waren es resolute Frauengestalten mit rauer Schale, die sie treffend darstellen konnte. Sie überzeugte ebenso in verbitterten und gefühlskalten wie in freundlichen und komödiantischen Rollen. Vor allem als Mischung zwischen Kratzbürste und Goldherz schaffte sie es immer wieder, die Zuschauer zu erobern. Ende Mai war Meysel in ihrer letzten Rolle zu sehen: als "Oma Kampnagel" in der ARD-Krimiserie "Polizeiruf 110" unter dem Titel "Mein letzter Wille".
Meysel protestierte 1978 Seit an Seit mit Alice Schwarzer
Aber auch als öffentliche Person nahm Meysel nie ein Blatt vor den Mund. 1978 klagte sie gemeinsam mit Alice Schwarzer und Luise Rinser über die "Darstellung der Frau als bloßes Sexualobjekt" gegen den stern. 1991 machte sie Werbung als Mitglied für den Verein "Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben". Auch ihre Sympathie für die SED-Nachfolgepartei PDS hat die Schauspielerin nie verleugnet. Für Furore sorgte zudem ihr öffentliches Bekenntnis zur Bisexualität.
Seit dem Tod ihres zweiten Mannes 1965 lebte die Wahlhamburgerin allein. "Ich hätte niemand neben mir im Bett geduldet", sagte sie einmal. In ihrem letzten Lebensjahr litt die große alte Dame des Volksschauspiels zunehmend unter ihrer Altersdemenz. Am 28. April dieses Jahres erlitt sie bei einem Sturz zudem einen komplizierten Oberschenkelbruch. Noch selben Tag wurde sie in Hamburg operiert. Am 13. Mai verlegten die Ärzte sie wegen immer stärkerer Demenzerscheinungen in die Neurologie. Eine Woche später wurde sie aus der Klinik entlassen.
Ihren 94. Geburtstag feierte Meysel am 30. Mai in ihrem Haus an der Elbe mit ihren letzten Angehörigen - ihrer Nichte und deren Mutter - sowie mit ihrer Anwältin, ihrem Manager Knuth und dessen Frau. Meysel hatte Knuth zuletzt immer "Papa" genannt. "Das ist so schrecklich, dabei könnte man heulen", hatte Knuth in der vergangenen Woche in einem Interview berichtet. Die 94-Jährige habe nur noch selten gesprochen - meist über ihre verstorbene Mutter.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat Inge Meysel als "große Künstlerin und Charakterdarstellerin von Rang" gewürdigt. "Sie war nicht nur eine wunderbare Schauspielerin, sondern auch eine politische Persönlichkeit, die sich Zeit ihres Lebens für Gleichberechtigung und Demokratie stark gemacht hat", sagte Wowereit.
Meysel war "Vorbild für viele"
Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) hat die Verstorbene als "Vorbild für viele" gewürdigt. "Hamburg verliert nicht nur eine große Schauspielerin, sondern auch eine großartige Frau", sagte die Politikerin. Inge Meysel habe sich durch ihre Schauspielkunst sowie ihr Herz und ihre Wärme ausgezeichnet.
Die 1910 in Berlin als Tochter eines jüdischen Tabakhändlers und einer Dänin geborene Meysel kam nach dem zwölfjährigen Auftrittsverbot bei den Nazis 1945 ans Hamburger Thalia Theater.