Johnny Depp vs. Amber Heard Ein Prozess wie ein Popkonzert – wären da nur nicht die grauenhaften Details

Johnny Depp
Johnny Depp fährt in seinem SUV vor. Seit einigen Wochen bekriegen er und Ex-Frau Amber Heard sich vor Gericht. 
© Owen Cliff/CNP/ABACA / Picture Alliance
Vor Gericht in Virginia sprechen Johnny Depp und Amber Heard über die schlimmsten Abgründe ihrer Beziehung. Die Einzelheiten sind grausig, und doch – oder genau deshalb – können Millionen Zuschauer nicht weggucken. Das wichtigste Detail vergessen die meisten darüber. 

Jeden Morgen eines jeden Wochentages versammeln sich Hunderte kreischender Fans vor dem County Courthouse in Fairfax, Virginia, und warten auf den Moment, wenn ein verdunkelter SUV vorfährt. Sie halten selbstbemalte Schilder in die Höhe, ihre Handys haben sie stets gezückt. Mit etwas Glück senken sich die Fenster des einfahrenden Autos und das Objekt ihrer Begierde – Hollywoodstar Johnny Depp – winkt ihnen zu. Man könnte über das Spektakel glatt vergessen, weshalb Depp zum Gerichtssaal fährt. Und warum er dort sitzt, Tag für Tag, an der Seite seiner Anwälte.

Johnny Depp vs. Amber Heard: Ein Spektakel vor Gericht

Nein, es ist kein Popkonzert, was da täglich in Fairfax stattfindet, aber blickt man auf die Fan-Scharen, wäre es leicht zu glauben. Es ist der Verleumdungsprozess zweier Ex-Eheleute, die einander gegenseitig Gewalt vorwerfen. Doch die gebannten Blicke der Zuschauer sind nicht nur in Fairfax. Denn das ganze Prozedere wird mit Kameras aufgezeichnet und live über diverse Youtube-Kanäle in die Welt gesendet. Da sieht man Amber Heard, wie sie im Zeugenstand schluchzt und detailliert wiedergibt, wie ihr Ex-Mann sie missbraucht und geschlagen haben soll. Und man sieht Depps Anwälte, die Heard auf Widersprüche in ihrer Aussage hinweisen, während der Schauspieler den Kopf gesenkt hält. Schlag auf Schlag geht es, wie im besten Gerichtsfilm. 

Man ertappt sich selbst dabei, wie man jede Mimik, jede Geste analysiert, im Kopf "Objection: Hearsay!" ruft, sich darüber empört, wenn die Fragen der Verteidiger nicht akkurat beantwortet werden, sondern nach Ausflüchten gesucht wird. Dass der Prozess für den unbeteiligten Zuschauer so spannend ist, liegt nicht nur an den berühmten Akteuren, sondern auch an der grundlegend anderen Art und Weise, wie das Rechtssystem in den USA aufgebaut ist. Denn Anwälte und Verteidiger versuchen, eine Jury von sich zu überzeugen. Menschen aus dem Volk, die am Ende über schuldig und nicht schuldig entscheiden. Die emotionale Strategie ist daher mindestens genauso wichtig wie die auf Fakten basierte. 

Dazu kommen zwei Fanlager, die den Streit online fortsetzen. Das Depp-Lager ist deutlich größer und lautstärker, doch auch Amber Heard hat Anhänger auf ihrer Seite. Es gibt wohl kaum jemanden, der noch nichts mitbekommen hat von dem Geschehen in Fairfax. Und es scheint so leicht, sich eine Meinung zu bilden. Dank der Übertragung via Youtube und der ständigen Berichterstattung ist jeder, der möchte, im Bilde. Depp vs. Heard – das ist der O.J.-Prozess für alle, die O.J. Simpson und den Handschuheklat nicht live miterlebt haben. 

Häusliche Gewalt

Und doch bleibt bei allem Entertainment ein fader Beigeschmack. Denn was im Gerichtssaal geschieht, sollte eben kein Entertainment sein. Wer auch immer am Ende als Gewinner dasteht, eines ist klar: In dieser toxischen Ehe von Johnny Depp und Amber Heard ist Blut geflossen. Es gab Angriffe, es gab öffentliche Schmierkampagnen beider Seiten. Es scheint, als würde das eigentliche Thema verharmlost werden: häusliche Gewalt. Denn auch wenn es so wirken mag, während man bei Youtube zuschaut: Es geht hier nicht um Eskapaden von zwei Superstars, sondern um ein Thema, das viel zu viele Menschen überall auf der Welt betrifft. Gerade jetzt, da die Corona-Pandemie die Zahlen in die Höhe schießen ließ. Von einer "Schattenpandemie" sprechen Experten, denn überall auf der Welt häuften sich Berichte über Anstiege von häuslicher und sexualisierter Gewalt – meistens gegen Frauen und Kinder. 

Es ist nur menschlich, mit Spannung die Live-Videos zu verfolgen und sich Gedanken darüber zu machen, wer wie welche Aussage tätigt. Der breiten Masse wird ein Blick in eine Promi-Beziehung ermöglicht, den sie sonst nie bekommen würde. Man schaut durch ein großes Schlüsselloch und bekommt eine Idee davon, wie es aussieht, wenn man als Superstar vom Kaliber Depp eine Beziehung führt.

Und doch ist das zugrunde liegende Thema bitterernst – und ganz frei von Hollywood-Glamour. Eine Tatsache, die man bei all dem Spektakel nicht vergessen sollte.

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