Mr Scorsese, in den frühen Sechzigern saßen Sie mit einem Kumpel im Auto und hörten das erste Mal "Satisfaction". Was passierte da mit Ihnen?
Wir waren einfach nur fassungslos, und es ging uns sofort ins Blut, in unsere DNA. Es ist seitdem nicht verschwunden. Und immer, wenn ich diese Musik hörte, habe ich mir vorgestellt, wie ich sie fotografiere, sie auf Film festhalte. Ich hatte auch vorher schon alles in mich aufgesogen. Musik ist die Basis von allem, was ich in meinen Filmen mache.
Aber die Stones waren für Sie immer etwas ganz Besonderes?
Ja, ihre Songs entfachten in mir das Feuer. Ich dachte damals über mein Leben nach, welche Filme ich machen wollte, und irgendwie führte das dann schließlich zu "Mean Streets"…
. . . das Ganoven-Drama aus Little Italy, das bei uns unter dem Titel "Hexenkessel" lief, war Ihr dritter Spielfilm und großer Durchbruch. Sie haben damit quasi die Ehe zwischen Rock ‘n‘ Roll und Kino erfunden, indem Sie ausschließlich Pop- und Rocksongs für einen Film verwendeten.
Und ein bisschen Klassik. In "Easy Rider", der vier Jahre vorher gedreht worden war, wurde zwar auch viel Rock 'n' Roll eingesetzt, aber das war ein Westküsten-Film und hatte einen völlig anderen Ton. Der erste Film in die Richtung war 1955 "Die Saat der Gewalt", bei dem Bill Haleys "Rock Around The Clock" während des Vorspanns erklang. Das Prinzip hat sich aber damals noch nicht durchgesetzt.
Was teilweise auch finanzielle Gründe hatte.
Manche Songrechte waren einfach zu teuer. Wir besaßen damals nicht genug Geld dafür. Ich wollte in "Mean Streets" eigentlich drei Stones-Stücke verwenden, aber wir mussten allein für "Jumpin' Jack Flash" und "Tell Me" 30.000 Dollar zahlen.
Nun haben Sie gleich einen ganzen Film voller Stones-Songs. Warum haben Sie "Shine a Light" nicht schon viel früher gedreht?
Es hat sich nie die Gelegenheit ergeben. Außerdem wurden ja schon so viele Filme mit und über die Rolling Stones gedreht, auch Konzertfilme. "Rocks Off " von Hal Ashby war richtig gut. Oder "Gimme Shelter". Und Jean-Luc Godards "Eins plus Eins", der brillant war und die Entstehung des Songs "Sympathy for the Devil" dokumentiert. Und nun ergab sich endlich die Gelegenheit. Genau. Mick und ich entwickeln schon seit einigen Jahren ein Spielfilmprojekt, eine Abrechnung mit dem amerikanischen Musikgeschäft von den Sechzigern bis heute. Bei einem der vielen Treffen dafür entstand die Idee zu "Shine a Light".
In dem unter anderen auch Jack White, Sänger der White Stripes, einen Gastauftritt hat. Interessieren Sie sich für die aktuellen Entwicklungen in der Rockmusik?
Ich mag die White Stripes. Aber es fällt mir sehr schwer, aktuelle Musik zu hören. Radiohead, Amy Whinehouse - es gibt schon eine Menge Leute, die ich höre. Aber ich bin in einem gewissen Alter, und Musik hat seine bestimmte Zeit. Das, was bei mir bleibt, mir jeden Tag durch den Kopf geht, sind Kurt Weill und Bertolt Brecht: "Die Dreigroschenoper".
Singen Sie die unter der Dusche?
Ich summe sie. Und "Tannhäuser". Ich halte es nicht mehr aus, Leute morgens sprechen zu hören. Nachrichten am Morgen. Ich mag es mehr einsam und ruhig.
"Shine a light"
Satisfaction as usual
Sie sei zu Tode fotografiert worden, meinte Marlene Dietrich einmal. Ähnlich verhält es sich bei den Rolling Stones, die in ihrer knapp 46-jährigen Karriere zu Tode gefilmt und dokumentiert wurden. So bietet auch Martin Scorseses Konzertfilm nichts Revolutionäres, ist aber dank des Einsatzes von über einem Dutzend zum Teil Oscar-prämierter Kameramänner und amüsanter Gesprächsschnipsel aus der Vergangenheit sehenswert. Und danach dürfen sich die Experten über die Songauswahl streiten.
Godard musste den Dreh seiner Doku "Eins plus Eins" unterbrechen, weil die Stones wegen Drogenmissbrauchs ins Gefängnis kamen. Was lief bei Ihnen schief?
Was den Zeitplan durcheinanderbrachte, war, dass Keith im Urlaub von einer Palme stürzte. Das war ein Problem. Ansonsten war es erst mal schwierig, die Stones komplett auf eine kleine Bühne zu kriegen. Normalerweise sind ihre Bühnen so riesig, dass du sie gar nicht sehen kannst. Ich habe alles unternommen, damit das hinhaute, weil ich unbedingt filmen wollte, wie sie während des Konzertes interagieren. Außerdem wollte ich die Spontaneität ihres Auftritts einfangen, wie sie die Energie des Publikums aufsaugen und wieder zurückgeben. Dafür haben wir drei Laufstege in den Saal hineinbauen lassen. Mick hat sich das angeschaut, war sehr nett, sagte aber nie Ja oder Nein. Ich nahm das als Ja.
Sie sind es ja eher gewohnt, die totale Kontrolle bei den Dreharbeiten zu haben.
Genau das hat mir am Anfang solche Angst gemacht. Ein Live-Konzert auf Film festzuhalten ist absurd und brandgefährlich. Die Stones werden das tun, was sie tun werden, du bist von ihnen abhängig. Ich kann ja schlecht zu ihnen sagen: Du sollst genau hier hin, aber geh nicht da rüber. Es wurde wirklich eine Sache der Kameramänner. Die müssen wissen, wo sie stehen sollen, was sie scharf stellen, und den Mut haben, draufzuhalten und im richtigen Moment zu schwenken. Gott sei Dank hatten wir zwei Konzerte. Das erste nahmen wir als Generalprobe, die schon sehr gut lief. Das zweite war zum Ergänzen. Das war der Schlüssel.
Dabei hätten Sie doch eigentlich entspannt sein können. Schließlich haben Sie schon vor fast 40 Jahren an der legendären "Woodstock"- Doku mitgearbeitet.
Ich war aber nicht bei der kompletten Produktion dabei. Ich bin nach dem Rohschnitt gegangen. Unser Anliegen war damals 90 Minuten Film und 90 Minuten Publikum, das Event selbst. Nach den Filmen über Monterey und Woodstock fragte ich mich: Warum das Publikum überhaupt noch filmen? Wir haben darüber auch für "Shine a Light" gesprochen, da kommen die Zuschauer jetzt nur noch an den Bildrändern vor.
In einer Szene ist ein Mädchen zu sehen, das nicht den Stones zuschaut, sondern auf dem Handy seine SMS checkt.
Ja. Und viele halten ihr Handy hoch und machen Fotos. Ich habe einmal sogar das Klickgeräusch extra hervorgehoben. Man kann es gut hören!
Noch ein Unterschied zu seligen Woodstock-Zeiten: Der Einzige, der im Saal raucht, ist Keith Richards.
Da waren auch noch andere, die geraucht haben. Und wahrscheinlich keine Zigaretten.