Frau Jolie, Sie haben für "By the Sea" das Buch geschrieben, Regie geführt und an der Seite Ihres Mannes gespielt. Es geht um ein Ehepaar, das sich bis aufs Messer bekriegt. Dürfen wir fragen: Ist bei Ihnen zu Hause alles in Ordnung?
Ich habe das Skript vor vielen Jahren geschrieben, keine Sorge. Manchmal weißt du nicht, warum du etwas schreibst. Warum einfach etwas aus dir herausfließt. Ich habe damals, als es entstand, eine Menge über mich gelernt. Später merkte ich, dass ich diese Dinge einfach ansprechen muss.
Welche Dinge meinen Sie?
Die großen Themen des Lebens. Es ist eine Studie über Trauer und Verlust. Ein Teil davon bin ich. Ein Teil verarbeitet ganz gewiss die Geschichte und den Tod meiner Mutter. Ein weiterer die Erfahrungen aus meiner humanitären Arbeit. Wenn ein Psychoanalytiker das Skript liest, würde der wahrscheinlich noch andere Dinge über mich herausfinden. Im Zentrum geht es darum, wie wir durchs Leben kommen.
Ähnlichkeiten sind rein zufällig ...
Ich schrieb es, um es eines Tages Brad zu zeigen. Also nahm ich auch Figuren, die in etwa unser Alter und auch sonst ein paar Ähnlichkeiten haben. Das schon. Der Mann ist auch Künstler, ein Schriftsteller. Nur, die Probleme dieser beiden im Film sind so grundsätzlich, das hat nichts mit uns zu tun. Ich dachte nie, dass daraus ein Film werden würde. Und schon gar nicht, dass ich mitspiele. Sonst hätte ich mich damals beim Schreiben stärker zurückgehalten.
Sie hätten es entschärfen können.
Als einmal feststand, dass es verfilmt würde, beschloss ich, dass ich nichts rausnehme. Dann wurde es allerdings kompliziert: Ich musste mich gewissermaßen teilen in Regisseurin und Schauspielerin. Es war ein bisschen wie bei Doktor Jekyll und Mister Hyde.
Obendrein holten Sie Ihren Mann ins Boot. Es ist der erste Film seit "Mr. and Mrs. Smith" vor zehn Jahren, in dem Sie gemeinsam vor der Kamera stehen.
Als wir heirateten, wollten wir auch testen, wie nah wir uns jenseits unsrer Ehe auch als Künstler sein können. Es gab aber keine Filme, die für uns zwei passten. Wir wollten aber unbedingt wieder zusammen spielen. Selbst als wir uns dazu entschieden, "By the Sea" zu machen, dachten wir erst einmal: Entweder ist das jetzt eine richtig gute Idee. Oder eine richtig schlechte.
Und was ist es nun?
Eine gute, glaube ich. Wir spielen so vollständig wie möglich. Wir spielen Dinge, die uns ängstigen; wir spielen Dinge, die uns Spaß machen. Wir haben uns gegenseitig gepusht - gerade in schwierigen Szenen.
Sie haben für den Film Ihren Hochzeitsurlaub geopfert und auf Malta gedreht.
Ja, es war unsere Hochzeitsreise. Jeder ist also herzlich eingeladen, uns beim Honeymoon zuzugucken.
Und Ihnen, dem vielleicht glamourösesten Paar der Welt, dabei zuzuschauen, wie Sie sich im Wortsinn gegenseitig an die Gurgel gehen.
Bei den Streitszenen musste jeder in seine Ecke gehen wie ein Boxer. Und es nicht persönlich nehmen. Ein verdammt schräger Tanz, kann ich Ihnen sagen. Ich musste mich dirigieren und dann noch mal ihn. Das war nah an der Schizophrenie.
Wenn die Kamera aus war, konnten Sie wieder sofort Angelina und Brad Pitt sein?
Das dauert tatsächlich seine Zeit. Denn die Energie eines echten Zoffs muss echt sein. Die Wut muss echt sein, die Enttäuschung auch.
Hatten Sie auch echten Streit am Set, ganz reale Meinungsverschiedenheiten?
Verschiedene Meinungen schon. Aber ich neige nicht dazu, mit anderen Schauspielern zu streiten - das bezieht meinen Mann mit ein. Man redet und einigt sich. Filmen ist Geben und Nehmen. Es gibt kein ultimatives Falsch oder Richtig.
Ist der Film - obschon er von Zerrüttung handelt - eine Art Liebesbekundung zwischen Ihnen?
Ich denke, man fühlt diese zehn Jahre Gemeinsamkeit. Man fühlt unsere Geschichte. Man fühlt das an der Art, wie die beiden sich anschauen und miteinander kommunizieren. Vor allem aber wollten wir beide möglichst kreativ und frei sein. Wir wollten ein pures Stück Kunst abliefern. Es ist ein erwachsener Film.
Was ist ein erwachsener Film?
Er ist für Menschen, die schon etwas erlebt haben. Er hantiert nicht nur mit den scharfen Trennlinien zwischen Gut und Böse, wie es viele amerikanische Filme tun. Wir wollten auch kein Ende, das alles hübsch abbindet. Das Leben ist vertrackter, und das sollte rüberkommen. Es ist ein europäischer Film. Und europäische Filme haben mehr Poesie.
Den Amerikanern fehlt die Poesie?
Das europäische Publikum liebt es, über Dinge nachzudenken. Es ist nicht so gierig auf sofortige Befriedigung. Es lässt sich mehr auf Filme ein. Nicht alles muss so sauber und so absolut sein. Das genießen wir.
Wie lange werden Sie noch genießen? Es heißt immer wieder, dass Sie keine Lust mehr haben auf die Schauspielerei.
Da sind noch ein paar Filme, die mich interessieren vor der Kamera, und die werde ich wohl noch machen. Aber insgesamt habe ich nicht mehr die Leidenschaft. Ich hatte sie nie. Meine Mutter war Schauspielerin, und sie wollte, dass auch ich in diesen Beruf gehe. Aber es war nie etwas, das ich geliebt habe. Wenn ich von heute auf morgen damit aufhören müsste, hätte ich kein Problem damit. Filme zu machen hinter der Kamera ist erfüllender. Mein nächster Film spielt in Kambodscha, im Jahr 1975 während des Kriegs, mit einer komplett lokalen Besetzung.
Das ist ehrenvoll. Aber warum drehen Sie als Expertin nicht eine Dokumentation über das Thema der Gegenwart: die Flüchtlingskrise?
Ich tue das, was ich am besten kann. Und Dokumentarfilme können andere besser. Manchmal nehme ich die Kameras mit in die Flüchtlingslager. Je älter ich werde, desto häufiger denke ich an richtige Arbeit: an Politik und Gesetze, an Lösungen. Früher ging es mir in erster Linie darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Heute geht es einen Schritt weiter - um die dauerhafte Veränderung der Flüchtlingssituation.
Sie müssen doch verzweifeln. Sie weisen seit Jahren und immer wieder auf die Problematik hin.
Was soll ich sagen? Man hätte die heutige Situation vor Jahrzehnten schon erahnen können. Es gab immer mehr internationale Konflikte - und immer mehr Menschen auf der Flucht. Das kam nicht aus dem Nichts und hat sich ebenso abgezeichnet wie dieser Mangel an Führung, an Diplomatie, an Verantwortung und an Interesse. Man sieht immer weniger Leute an den Verhandlungstischen, und wenn sie dann endlich verhandeln, kommen nur provisorische Lösungen dabei raus. Und jetzt haben wir einen Notstand, eine Flutwelle menschlichen Leids. Die natürlich mit dem Krieg zusammenhängt, aber auch mit dem Rückgang an Hilfe. Die Leute verhungern, es gibt keine medizinische Versorgung und keine Nahrung. Und dann machen die Menschen eben alles: Sie riskieren ihr Leben an den Grenzen und auf dem Meer. Das werden sie weiterhin tun, weil es eben menschlich ist. Sie müssen entschuldigen, dass ich mich gerade in Rage rede.
Nur zu.
Wir brauchen langfristige Lösungen. Und keine Flickschusterei, die nur noch mehr Fremdenfeindlichkeit auslöst. Wir brauchen also eine Diskussion über Toleranz. Die Menschen müssen toleranter werden. Ich denke, dass man einige Nationen daran erinnern muss, Flüchtlinge aufzunehmen, weil sie selbst mal in exakt dieser Situation waren.
Das klingt nach frommem Wunsch. Wir sitzen hier in London, Großbritannien nimmt gerade einmal 4000 Flüchtlinge pro Jahr auf. Und selbst dafür brauchte es das Bild eines toten Jungen, der in der Türkei an den Strand gespült wurde.
Eine Lösung muss von allen Ländern getragen werden – und nicht nur von Deutschland. Zugleich dürfen wir nicht die anderen Krisenherde aus den Augen verlieren, also die Nationen und Regionen, die schwere Zeiten durchmachen, die aber gerade aus dem Fokus geraten, weil alle auf den Menschenstrom in Europa schauen. Myanmar beispielsweise. Oder Südsudan. Wir reden - bitte nicht vergessen! - über mindestens 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Das ist eine globale Krise, und die kann auch nur global gelöst werden.
Sie glauben tatsächlich, sie wird gelöst?
Was ist die Alternative? Wie immer wir uns heute entscheiden und was immer dabei herauskommt: Genau das wird definieren, wer wir in 50 Jahren sind, wie man über uns denken wird. Und auch, wie die Geschichte über uns urteilt.
