Als Sie im Herbst 2002 nach Bagdad gingen, wurden Sie als "Saddams Handlanger" beschimpft. Als Sie Bagdad vor einem Jahr verlassen mussten, hat die Fifa Ihre Mannschaft mit dem "Presidential Award" ausgezeichnet. Wie fühlt man sich nach der Beförderung vom Paria zum Helden?
Ich hatte nichts mit Saddams Verbrechen zu tun. In Deutschland wäre ja auch niemand auf die Idee gekommen, Sepp Herberger, den WM-Trainer von 1954, für die Gräuel der Nazis haftbar zu machen, weil er 1938 seinen Vertrag als Reichstrainer unter Hitler unterschrieben hatte.
Warum sind Sie nach dem Sturz des Regimes geblieben?
Weil ich allen beweisen wollte, dass ich des Fußballs, nicht des Geldes wegen da unten war.
Was wurde denn aus Ihrem Gehalt?
Nach dem Krieg? Nichts. Ich habe Fußbälle, Flüge für die Mannschaft, das Telefon von meinem Geld bezahlt. Ab und zu kamen Abschlagszahlungen.
Wie trainierte es sich in der Apokalypse von Bagdad?
Wir hatten keine Tornetze, keinen Rasen, im Stadion parkten US-Panzer. Wir haben auf einem Ziegenfeld trainiert und im Juli, bei 40 bis 50 Grad, mangels Klimaanlage auf dem Dach geschlafen, wo ich mich mit Mineralwasser übergossen habe - sonst wäre ich vor Hitze gestorben. Da haben mir die Jungs gezeigt, was für einen enormen Willen sie hatten. Mit diesem Willen haben sie es geschafft, als eine von drei asiatischen Mannschaften an Olympia in Athen teilzunehmen und den vierten Platz zu holen.
Zur Person
Bernd Stange, 57, wurde bekannt als Nachfolger des legendären DDR-Nationaltrainers Georg Buschner. Nach der Wende trainierte er Herta BSC, wo ihn 1995 die Aufdeckung seiner Stasi-Kontakte den Job als Sportdirektor kostete. Danach coachte er u.a. Teams in der Ukraine und die Mannschaft von Oman, bevor er im Herbst 2002 nach Bagdad geholt wurde. Seit Januar 2005 trainiert er Apollon Limassol auf Zypern. Stange ist verheiratet und hat zwei Söhne.
Auf welcher Seite standen Sie im Irak?
Auf keiner. Ich habe mich mit den Jungs gestritten, wenn die sich morgens freuten, dass schon wieder vier US-Soldaten umgebracht worden waren. Aber als dann der kleinen Tochter meines Co-Trainers von einem Apache-Helikopter die Wange zerschossen wurde, was wollen Sie dem noch sagen?
Haben die Amerikaner Ihnen geholfen?
Nein. Die Briten haben geholfen, der DFB auch. Ich dachte, die Amerikaner schickten mal einen Flieger statt mit Bomben mit Bällen und Shirts für Kinder, aber nichts. Dabei ist Fußball der einzige Sport, der alle Iraker zusammenbringt. In der Nationalelf waren Sunniten, Schiiten, ein Christ, ein Turkmene, aber das spielte überhaupt keine Rolle!
Was war Ihr gefährlichstes Erlebnis?
Als wir auf der Autobahn nahe Falluja unterwegs waren und von Vermummten gestoppt wurden. Ich dachte, nun ist alles vorbei. Aber als die mich erkannten, haben sie "Stansch! Stansch!" skandiert, weil sie Stange ja nicht aussprechen können, haben gejubelt und die Masken ausgezogen. Ich musste meine Trainingsjacke dalassen, aber wir durften weiterfahren.
Aber Sie sind im Mai 2004 doch gegangen ...
Ja, weil es einfach nicht mehr ging. Die britische Regierung hatte uns zum Training nach England eingeladen, und als es einen Empfang mit dem Außenminister Jack Straw gab, erschien das Foto von ihm und mir in allen irakischen Zeitungen. Danach nahmen die Todesdrohungen zu. Mein Leibwächter wurde überfallen, kam mit zwei Steckschüssen im Oberschenkel davon, aber hat mir einen bewegenden Brief geschrieben, dass er mich nicht mehr schützen könne. Dann bin ich auf dringendes Anraten der Deutschen Botschaft ausgereist. Schade. Hätten wir es geschafft, uns für die WM in Deutschland zu qualifizieren, wäre ich in den Annalen des irakischen Fußballs unsterblich geworden. Aber die Zeit bis dahin hätte ich vermutlich nicht überlebt.