Laut oder leise, Spektakel oder Still-Leben? Das ist bei der Pariser Haute Couture die Frage, und mit Frankreich im WM- Finale wird sie umso dringlicher. Die Modehäuser kämpfen schon lange im Bereich der Hohen Schneiderkunst gegen sinkende Aufmerksamkeit. Denn die richtet sich inzwischen vor allem auf das weniger aufwendige Prêt-à-Porter. Und nun laufen seit Mittwoch die dreitägigen Couture- Schauen für Herbst/Winter 2006/7, und das ganze Land redet nur über Fußball.
Bei Valentino war eins klar: Nach der Schau muss vor dem Spiel sein. So endete sein Couture-Defilee am Mittwochabend ungewohnt pünktlich eine halbe Stunde vor Anpfiff des Halbfinales, so dass die reichen Kundinnen rechtzeitig in ihre Limousinen steigen konnten, um zum Fernseher zu gelangen. Bei der Schau hatte er sich im Gegenzug für "eher leise" entschieden. Heraus kam edle Raffinesse mit wunderbaren Stickereien und eleganten Raffungen. Einer der besten Entwürfe war ein silbern schimmerndes Seidenkleid mit einem von Kristallen übersäten Oberteil. Dank kunstvoller Plissierungen mündete es in einen sich kelchartig öffnenden Rock. Die ganze Kollektion floss nur so dahin. Bei den Stoffen stand Mousseline in Pudertönen im Kontrast zu schwarzem Satin und rotem Organza sowie feinen grauen Wollqualitäten.
Völlig losgelöst von der Erde
Spektakulär muss es bei dem Dior-Designer John Galliano stets zugehen. Doch diesmal griff er in die Vollen und bot eine Mischung aus Mittelalter, Frührenaissance, 40er-Jahre-Glamour und Punk auf. Der Laufsteg wirkte wie ein toskanischer Villengarten, zwischen dessen Bäumen die Models wie außerirdische Wesen hervorkamen. Auf ihren Köpfen saßen Kronen mit Perlschnüren, und ihre üppig bestickten Roben aus Tüll oder Georgette schützte ein auf dem Oberteil sitzender goldener Ritterharnisch. Neben Leggings mit weiten Pelzoberteilen, die vage an ein Van-Eyck-Gemälde erinnerten, gab es elegante Hollywood-Roben und ausladende metallisierte Entwürfe in Grün-Gelb-Tönen. Den Eindruck, auf einem seltsamen Planeten gelandet zu sein, bestärkte Galliano noch, indem er am Ende als Astronaut verkleidet tosenden Beifall entgegennahm.
Mädchenhaft und zart ging es dagegen bei der Pariser Designerin Anne Valérie Hash zu. Sie zeigte mit Tüll und Rüschenborten verzierte Seidenblusen und Babydolls sowie Miniröcke in Ballonform. Die Entwürfe umspielen den Körper, und zeigen durch ihre Transparenz und Kürze dennoch die Figur. Auch die Farben wie Haut, Weiß oder Rosé (neben Schwarz) passen zu der Sanftheit dieser sehr fein gearbeiteten Kollektion.
Das Publikum dreht um die Models
Und dann gibt es noch Modemacher, die einen Kompromiss zwischen lauten und leisen Tönen finden. Mit einer fantastischen Couture-Schau setzte Karl Lagerfeld für Chanel am Donnerstag einen schwer zu überbietenden Höhepunkt. Das Publikum - darunter Kylie Minogue und Elton John - thronte auf den Stufen einer Rundtribüne in einem ebenso runden, strahlendweißen Zelt.
Die Entwürfe hielten der Inszenierung stand: Schenkellange Stiefel aus Jeans-Stoff oder Leder mit Rockstar-Allüre wurden zu superschicken Minikleidern kombiniert, mal in Trapezform, mal gerade, aber auch mit Glocken- oder Ballonröcken. Durch die klare Linie wirkten die sorgfältig applizierten Kristalle, Broschen, Blütenornamente oder Goldplättchen auf den Entwürfen umso edler. Sogar die Braut kam im cremefarbenen Mini. Am Ende drehte sich das Publikum auf der Tribüne einmal im Kreis, während die Models rund um den Laufsteg still verharrten.