Jacketts Merkels Malkasten

Von Miriam Collée
Früher war sie entschlossen, uneitel zu sein, dann entdeckte sie die Kraft der Farben für sich. Aber warum trägt Angela Merkel immer diese Jacketts? Eine Stilkritik.

Heiligendamm war fast perfekt. Als Angela Merkel im grasgrünen Jäckchen auf den saftigen Kempinski-Rasen trat und sich den Fotografen stellte, verschmolz ihr Oberkörper nahezu mit dem Hintergrund. Nur der Kanzlerinnenkopf leuchtete rotgold von der Wiese. Politik könnte so einfach sein. Ein heller Kopf, sonst nichts. Doch Grasgrün ist auf Dauer keine Lösung, und selbst der schönste Gipfel hat mal ein Ende. Ehe sich Angela Merkel Klimaschutz oder Mindestlohn widmen kann, steht sie alltäglich vor einem scheinbar banalen Problem: Welches Jackett ziehe ich heute an? Pünktlich zu Herbstbeginn konnte man beobachten, wie sich die Kanzlerin in fallendes Herbstlaub verwandelte: In Orange eilte sie zur UNGeneralversammlung, in Ockerbraun zu Bushs Ranch, in Rot zur Kabinettssitzung, in Schlammgrün zu den Soldaten in Afghanistan.

Seit den Restaurierungsarbeiten der Politikerfassade vor zwei Jahren hat sich Merkel eine medientaugliche Außenhaut zugelegt, einen modischen Kampfanzug: schwarze Hose kombiniert mit Drei-oder Vierknopf-Blazer. Kurz, tailliert, auf Hüfthöhe leicht ausgestellt, hohes Revers, mal klassisch, mal mit Mao-Kragen - laut Stilberatern das perfekte Kleidungsstück für den "H-Typ" (beschreibt die Körperlinie zwischen Oberweite und Hüfte). Merkel verdankte diesen Jacken das Ende der Spötteleien. Kein Wunder also, dass sie bei der Designerin Bettina Schoenbach sicherheitshalber die ganze Farbpalette orderte: Grün (Klimagipfel), Royalblau (U-Boot- Besichtigung), samtiges Bordeauxrot (Weihnachtsbaum), nicht zu vergessen das legendäre Goldjackett, das sie eingerahmt von schwarzer Hose und rotem Halsketten-Anhänger zur Premiere von "Deutschland, ein Sommermärchen" trug. Ein Regierungsjahr hat viele bunte Events Fragt man in der Boutique von Schoenbach in Hamburg nach einem "Merkel-Jackett", greifen die Verkäuferinnen mit gequältem Gesichtsausdruck zielsicher zwischen die Bügel.

Schlicht, klassisch, konservativ

Da ist es: das öffentliche Jackett, jeden Abend in Millionen deutschen Wohnzimmern zu sehen. Preis je nach Stoff um 1500 Euro. Man wolle nicht auf dieses Jackett reduziert werden, heißt es, und Werbung mit der Kanzlerin sei ohnehin nicht erlaubt. Ist auch nicht nötig: Ganz ohne Schoenbachs Zutun stattete ein Puppenhersteller Angela-Merkel-Puppen mit jenem dunklen Hosenanzug aus, den Merkel am Wahlabend trug. Die "Kanzlerschneiderin" erntet viel Lob - und Hasstiraden. Der Anrufbeantworter im Laden ist manchmal voll davon. Neulich drohte einer mit einer Unterschriftensammlung, um Frau Merkel von diesen Jacken abzubringen. Nun lässt sich gegen die Jacken im Grunde nichts Schlechtes sagen. Sie sind schlicht, klassisch, konservativ und zielen auf demokratische Gleichheit. Sie sind nicht aus Cashmere und nicht von Brioni. Sie knittern nicht unter Splitterschutzwesten und bleiben auch nach spontanen Nackenmassagen des amerikanischen Präsidenten in Form. Das Problem ist nur: Ein Jackettschnitt für 365 Tage im Jahr reicht zwar für ICE-Zugbegleiter, aber nicht für eine Kanzlerin. Gab es die im Dutzend billiger? Hat sie den Malkasten bald durch?

Schon wabern wieder hämische Kommentare durch die Berliner Medienrepublik, wenn auch nicht von dem Kaliber wie damals, als sie "das Merkel" sagten und ihr bei Interviews Frisurenvorschläge vor die Nase hielten. Damals, als sie sich weigerte, eitel zu sein. Angela Merkel hat nie verstanden, was schlimm daran sein soll, so auszusehen, wie eine Pastorentochter und Physikerin aus der Uckermark eben aussieht, die sich lieber mit "Geschwindigkeitskonstanten von Elementarreaktionen am Beispiel einfacher Kohlenwasserstoffe" (Merkels Dissertationsthema) statt mit aktuellen Lidschattenfarben auseinandersetzte. Doch sie hat sich weitergebildet. Hat gelernt, dass man gewisse ästhetische Grenzen nicht unterschreiten darf, wenn man regieren will. Hat Promifriseur Udo Walz ans dünne Haar gelassen, der erst von "Endfrisur" faselte und dann den Hinterkopf zu einem kleinen Nest toupierte. Hat eine Visagistin eingestellt (offiziell "Assistentin, Bundeskanzleramt") und sich zur Modeberatung in die stilsicheren Hände ihrer Freundinnen begeben: die der Berliner It-Girls Friede Springer, Isa Gräfin von Hardenberg und der Lifestyle-Journalistin Inga Griese.

Merkel ist Pragmatikerin. Ein Jackett, eine Designerin

Als "die neue Angie" schließlich im September 2005 im Apricot-Jäckchen mit dezentem Make-up vor die Kameras trat und sagte: "Ich will Deutschland dienen", war die Verwandlung vom "sprechenden Hosenanzug" (Bruno Jonas) zur Doris Day der Politik abgeschlossen: Ordentlich angezogen in hoffnungsfrohen Pastellfarben, warm und mütterlich lächelnd - und immer unterschätzt. Die Designerin des Apricot-Jäckchens, Anna von Griesheim, der auch Deutschlands Polit-Talkerinnen von Maybritt Illner bis Sandra Maischberger vertrauen, wurde an diesem Tag ein bisschen berühmt. Und Angela Merkel wurde nicht müde zu betonen, sie habe das Jackett ganz allein ausgesucht. Margaret Thatcher hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie sich in Style-Fragen professionell coachen ließ - und zwar vom Schneider der Queen. Angela Merkel lässt bei Anfragen zu dem Thema verlautbaren, sie sehe dies "als Teil ihres privaten Bereichs an, zu dem sie sich nicht im Detail äußern möchte". Während einer USA-Reise wagte es der Kolumnist Mainhardt Graf Nayhauß, über die mitreisende Visagistin Petra Keller zu schreiben, die allmorgendlich im siebten Stock des Kanzleramts das Fundament legt, das Merkel dann nur nachpudern muss. Zum Staatsbesuch in China durfte Nayhauß zur Strafe nicht im Kanzlerjet mitfliegen.

Auch Anna von Griesheim verscherzte es sich nach einem offenherzigen Interview mit der Kanzlerin. Von einer Frau, der sie in Unterwäsche gegenüberstand, erwartet Merkel höchste Diskretion. Seit Griesheim aus dem Rennen ist, herrscht Bettina Schoenbach allein über Merkels Kleiderschrank; für Bayreuth durfte sie die diesjährige Robe samt schwebender Handtasche entwerfen. Auf die Hanseatin ist mehr Verlass: Keine Antworten auf Anfragen zu Angela Merkel, heißt es kategorisch. Merkel ist Pragmatikerin. Ein Jackett, eine Designerin - auch ein Zeichen für Verlässlichkeit. Stilberater warnen jedoch. "Sich einem Lager zuzuordnen ist für Politiker gefährlich", sagt Silke Frink, Stilberaterin aus Königswinter. "Schließlich sind sie auf eine breite Wählerschicht angewiesen." So achte die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice penibel darauf, stets die Balance zwischen Rena Lange, Akris und US-Labels wie Oscar de la Renta zu halten, wenn sie mal wieder das New Yorker Edelkaufhaus Bergdorf Goodman für eine ihrer Shopping-Orgien besuche. Silke Frink hat neben Moderatorinnen und Führungskräften seit rund zehn Jahren regelmäßig auch Politikerinnen im Kundenstamm - die natürlich geheim bleiben wollen. Keine Frau gibt gern zu, dass sie nicht weiß, wie man sich hübsch macht.

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