Es war an einem Sommertag, etwa zehn Jahre her, auf dem Weg nach Hause. Ich hatte am Hauptbahnhof noch die Straßenbahn erwischt, war an der letzten Tür eingestiegen und ließ ich mich auf einen Sitz fallen. Erleichtert, dass ich es geschafft hatte.
Dass ich ganz allein in diesem Teil der Straßenbahn war, das fiel mir nicht auf. Erst als eine Gruppe von Männern plötzlich bei mir war und ich mit den Augen nach Hilfe suchte, wurde mir das klar. Zwei setzten sich in die Reihe vor mir, zwei in die Reihe hinter mir. Einer auf den Platz neben mir, dazwischen der Gang.
Sie unterhielten sich, doch ich konnte ihre Sprache nicht verstehen. Sie sahen mich an, alle. Ich wollte weg, nur noch weg, so schnell wie möglich. Ich fühlte mich bedroht.
Das Ereignis sollte meine Wahrnehmung prägen
An der nächsten Haltestelle hielt die Straßenbahn an, öffnete alle Türen, um Luft hereinzulassen. Doch erst als die Türen schon wieder zum Schließen blinkten, bin ich aufgesprungen und heraus gerannt. Auch draußen bin ich immer weiter gerannt, habe mich versteckt. Zu groß war die Angst, dass die Männergruppe mich verfolgen könnte. Ich habe meine Familie angerufen, die hat mich dann abgeholt. Ich habe mich an dem Abend nicht mehr getraut, in die Bahn zu steigen.
Es ist ein Ereignis, das meine weitere Wahrnehmung prägen sollte. Denn seit diesem Tag, an dem ich noch Schülerin war, kann ich nicht mehr mit dem öffentlichen Nahverkehr fahren wie vorher.
Dass ich damit nicht allein bin, ist mir gerade wieder durch Videos auf Instagram und TikTok klar geworden. Dort zeigen Frauen ihre "Subway Shirts". Bevor sie in die U-Bahn steigen, ziehen sie weite, olle Schlabbershirts an, um sich vor Belästigungen zu schützen.
Für viele Frauen gehört es zur Realität, dass sie angestarrt und belästigt werden auf täglichen Wegen. Die Hilfsorganisation "Plan International" hat 2020 eine Umfrage unter dem Titel "Safe in the City?" durchgeführt, 1000 Frauen haben mitgemacht. Sie sollten auf einer Karte markieren, an welchen Orten sie sich unsicher fühlen. Es ging vor allem um Großstädte wie Hamburg, München, Köln, Berlin.
Jede vierte Frau hat sexuelle Belästigung erlebt
Das Fazit von "Plan International"-Geschäftsführerin Maike Röttger: "Unsere Umfrage zeigt, dass Mädchen und Frauen sich in ihrer Stadt nicht wirklich sicher und frei bewegen können. Jede vierte Frau hat sexuelle Belästigung erlebt und jede fünfte wurde schon mal verfolgt, beschimpft und bedroht."
Und leider ist es wahr: Man muss sich als Frau immer noch anpassen, muss sich verstecken, am besten unsichtbar werden. Denn in einem Waggon kann man anderen auch ausgeliefert sein, gerade wenn die nächste Station noch entfernt ist.
Und selbst danach geht es noch weiter: Schlecht beleuchtete Tunnel, lange Wege zum Ausgang: Die meisten Städte sind nicht für die Bedürfnisse von Frauen geplant, dass es eine feministische oder gendergerechte Stadtplanung gibt, haben viele noch nie gehört.
Dabei ist der Ansatz recht einfach: Es sollte mehr Beleuchtung geben, keine zu engen Gassen, in denen man bedrängt werden könnte. Kurze Wege oder Spiegel für bessere Einsehbarkeit. So geschehen etwa in Wien: "Dort haben sogenannte Nachtspaziergänge geholfen, Situationen konkret einzuschätzen und zu verbessern. An einer schlecht einsehbaren Ecke etwa wurden Spiegel angebracht. So lassen sich Situationen auch im Dunkeln viel leichter einschätzen", berichtet der NDR.
Es sind simple Maßnahmen, die auch Frauen wie mir mehr Sicherheit geben könnten. Doch so musste ich bisher meine eigenen "Überlebenstricks" anwenden. Ich trage immer Kopfhörer. Die gut sichtbaren mit Kabel. Selbst wenn ich keine Musik höre. Ich hoffe, man lässt mich so in Ruhe.
Zusammen sind wir stärker
Wenn der Zug einfährt, schaue ich bereits von außen, ob andere im Abteil sind. Seit dem Ereignis setze ich mich nie mehr allein hin. Immer gehe ich zu anderen Frauen, lächle kurz, sie lächeln zurück. Es ist wie ein Bund: Zusammen sind wir stärker. Würde jetzt jemand kommen und uns bedrängen, wir würden uns wehren, zusammen.
Bin ich zu einer Party unterwegs und trage eine hübsche Strumpfhose oder kürzere Kleider, ziehe ich eine Leggings drunter. Immer. Denn nichts darf durchscheinen. Auch hohe Schuhe ziehe ich erst am Zielort an und vor der Rückfahrt wieder aus. So kann ich schneller weglaufen, falls nötig.
Seit fast zehn Jahren ist das meine Strategie für alle Fahrten. Wenn ich abends allein unterwegs bin, telefoniere ich auch oft. Ist der Handy-Akku leer und fühlte ich mich unwohl, habe ich auch schon Fake-Gespräche am Telefon mit mir selbst geführt.
Alles als Schutzmaßnahmen, und um Freunden und Familie auf die Frage: "Bist du gut nach Hause gekommen?" mit einem "Ja" antworten zu können.
Von Gleichberechtigung im Nahverkehr und im Stadtleben ist das noch weit entfernt, das weiß ich. Aber ich sehe keine Alternativen für mich. Zu prägend war die Erfahrung, auch wenn sie inzwischen zehn Jahre her ist.
Zusätzliche Quelle: "Plan International", "NDR"