
(Symbolbild)
2. Die WG-Party, Glockenbachviertel, München
Typischer Satz: "Lange nicht gesehen. Wie geht's?"
Typischer Drink: Augustiner Hell, 0,5 Liter
Dresscode: Come as you are
Vor der Eingangstür der Dreizimmerwohnung im Münchner Glockenbachviertel stehen mindestens 150 Paar Schuhe. Der zweite Stock sieht aus wie das Vorzimmer eines Spa oder einer Moschee - nicht unbedingt Orte, die als wilde Partylocations bekannt sind. Ist das Gebot "Schuhe aus" ein schlechtes Zeichen für die WG-Party von Anna und Lena, frage ich mich, ein Hinweis auf weitere Partykiller, sensible Nachbarsohren, zu kurze Gästeliste, zu wenig Alkohol? Im Flur kommen mir Mädchen in Strumpfhosen entgegen, die ohne ihre Heels aussehen wie traurige, hinkende Antilopen. Stolze Wesen, fundamental beschädigt. Auch meine Socken sind bald nass und klebrig. Die einzige Hoffnung ist nun, dass die Party so wild wird, dass wir die Scherben und Zigaretten am Boden vergessen.
Die WG-Party, klein, leise, intim, ist der Gegensatz zur Megadisko in Niedersachsen - LoFi statt Hightech, Freunde statt Fremde. Wenn es bei einer guten Party darum geht, den Alltag hinter sich zu lassen, wie soll man dann ausgerechnet an einem Ort ausrasten, an dem man schon "Tatort" gesehen und mit den befreundeten Bewohnern Nintendo-Wii gespielt hat?
Dann passiert etwas Seltsames: Auf dem Weg zur Küche verlaufe ich mich fast in den vertrauten Räumen. Die Wohnung ist nicht wiederzuerkennen. Zum Glück, denke ich: Eine gute Wohnungsparty muss verheimlichen, dass sie in einer Wohnung stattfindet. So wie hier, wo es dunkel ist, Stühle und Sofas verschwunden sind, die Gäste sich nicht setzen können. Könnten sie es, täten sie es ja auch - und würden über ihre Steuererklärung oder die neueste Theaterinszenierung reden. Offenbar muss man die Menschen auf den Zehenspitzen halten.
Dass wir auf Partys so viel Spaß haben, meint der US-Anthropologe Peter G. Stromberg, liege weniger an Drogen wie Alkohol, Kokain oder Dubstep. Das eigentliche Rauschmittel seien andere Menschen und die Emotionen, die sie abstrahlen. Das menschliche Gehirn, erklärt Stromberg, ist mit Spiegelneuronen ausgestattet, die uns dazu bringen, das Verhalten und die Gefühle der Umstehenden zu imitieren, das Lachen, die Aufregung, die wilden Bewegungen.
So entstehe eine Lawine der guten Laune, die alle mitreißt. Stromberg nennt es "emotionale Infektion": "Wir fühlen Dinge, die wir nicht gewohnt sind", und natürlich: "Wir tun Dinge, die man eigentlich nicht machen würde." Um zwei Uhr zieht Nick, den man selten ohne Anzug sieht, Hemd und Krawatte aus und tanzt mit nacktem Oberkörper. Fünf Leute machen sofort mit. Ich entdecke meine tief verschüttete Vorliebe zum Ausdruckstanz wieder.
Und Paare merken, dass sie es doch nicht so schlimm finden, wenn der Partner mit jemand anderem rummacht. Die Klotür ist verdächtig lange abgeschlossen. Vielleicht funktionieren Spiegelneuronen am besten, wenn sie gute Freunde spiegeln? Die Polizei wird um halb vier beinahe freudig begrüßt. Der Polizist guckt neidisch auf die Mädchen, denen ihre kaputten Strumpfhosen längst egal sind. "Macht mal halblang", sagt er. Und dann: "Wir würden ja auch lieber auf der anderen Seite der Türschwelle stehen." Die Spiegelneuronen feuern.
2. Die WG-Party, Glockenbachviertel, München
Typischer Satz: "Lange nicht gesehen. Wie geht's?"
Typischer Drink: Augustiner Hell, 0,5 Liter
Dresscode: Come as you are
Vor der Eingangstür der Dreizimmerwohnung im Münchner Glockenbachviertel stehen mindestens 150 Paar Schuhe. Der zweite Stock sieht aus wie das Vorzimmer eines Spa oder einer Moschee - nicht unbedingt Orte, die als wilde Partylocations bekannt sind. Ist das Gebot "Schuhe aus" ein schlechtes Zeichen für die WG-Party von Anna und Lena, frage ich mich, ein Hinweis auf weitere Partykiller, sensible Nachbarsohren, zu kurze Gästeliste, zu wenig Alkohol? Im Flur kommen mir Mädchen in Strumpfhosen entgegen, die ohne ihre Heels aussehen wie traurige, hinkende Antilopen. Stolze Wesen, fundamental beschädigt. Auch meine Socken sind bald nass und klebrig. Die einzige Hoffnung ist nun, dass die Party so wild wird, dass wir die Scherben und Zigaretten am Boden vergessen.
Die WG-Party, klein, leise, intim, ist der Gegensatz zur Megadisko in Niedersachsen - LoFi statt Hightech, Freunde statt Fremde. Wenn es bei einer guten Party darum geht, den Alltag hinter sich zu lassen, wie soll man dann ausgerechnet an einem Ort ausrasten, an dem man schon "Tatort" gesehen und mit den befreundeten Bewohnern Nintendo-Wii gespielt hat?
Dann passiert etwas Seltsames: Auf dem Weg zur Küche verlaufe ich mich fast in den vertrauten Räumen. Die Wohnung ist nicht wiederzuerkennen. Zum Glück, denke ich: Eine gute Wohnungsparty muss verheimlichen, dass sie in einer Wohnung stattfindet. So wie hier, wo es dunkel ist, Stühle und Sofas verschwunden sind, die Gäste sich nicht setzen können. Könnten sie es, täten sie es ja auch - und würden über ihre Steuererklärung oder die neueste Theaterinszenierung reden. Offenbar muss man die Menschen auf den Zehenspitzen halten.
Dass wir auf Partys so viel Spaß haben, meint der US-Anthropologe Peter G. Stromberg, liege weniger an Drogen wie Alkohol, Kokain oder Dubstep. Das eigentliche Rauschmittel seien andere Menschen und die Emotionen, die sie abstrahlen. Das menschliche Gehirn, erklärt Stromberg, ist mit Spiegelneuronen ausgestattet, die uns dazu bringen, das Verhalten und die Gefühle der Umstehenden zu imitieren, das Lachen, die Aufregung, die wilden Bewegungen.
So entstehe eine Lawine der guten Laune, die alle mitreißt. Stromberg nennt es "emotionale Infektion": "Wir fühlen Dinge, die wir nicht gewohnt sind", und natürlich: "Wir tun Dinge, die man eigentlich nicht machen würde." Um zwei Uhr zieht Nick, den man selten ohne Anzug sieht, Hemd und Krawatte aus und tanzt mit nacktem Oberkörper. Fünf Leute machen sofort mit. Ich entdecke meine tief verschüttete Vorliebe zum Ausdruckstanz wieder.
Und Paare merken, dass sie es doch nicht so schlimm finden, wenn der Partner mit jemand anderem rummacht. Die Klotür ist verdächtig lange abgeschlossen. Vielleicht funktionieren Spiegelneuronen am besten, wenn sie gute Freunde spiegeln? Die Polizei wird um halb vier beinahe freudig begrüßt. Der Polizist guckt neidisch auf die Mädchen, denen ihre kaputten Strumpfhosen längst egal sind. "Macht mal halblang", sagt er. Und dann: "Wir würden ja auch lieber auf der anderen Seite der Türschwelle stehen." Die Spiegelneuronen feuern.
© iStockphoto / Getty Images