Es ist fast ein psychedelisches Schauspiel, das in der Realität noch einmal eine ganz andere Wirkung entfaltet als Animationen aus einem Aufklärungsfilm: zahllose grell-fluoreszierende Punkte, die auf grünem Untergrund hin und her flitzen. Dem Betrachter kommt beim Blick durch das Mikroskop auf die Samenprobe im Labor der European Sperm Bank (ESB) deshalb spontan vor allem ein Wort in den Sinn: Leben.
Und nicht weniger als das Leben wird bei der Europäischen Samenbank in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen jeden Tag verhandelt. Denn hier können sich Paare und auch Singlefrauen mit Kinderwunsch beraten und betreuen lassen. Über 80 Mitarbeiter sind hier beschäftigt, die Anfragen aus über 70 verschiedenen Ländern zu koordinieren.
Samenproben in Stickstoffbehältern
Optisch erinnern die großen Büroräume auf den ersten Eindruck eher an ein Start-up-Unternehmen, wie es auch in Berlin-Mitte oder der Hamburger Speicherstadt stehen könnte. Am Eingang grüßt eine Eisbärenfigur gleich neben dem Wasserspender. Viel Licht fällt durch die großen Fensterfronten ein – vom Labor, in dem die Proben untersucht werden, über das Call-Center-ähnliche Büro, in dem Interessenten telefonisch beraten werden, bis in den Lagerraum, wo die Samenproben wie in einem Großhandel in Stickstoffbehältern tiefgekühlt werden. An einer Wand im Flur hängen Polaroidfotos von Babies und Kleinkindern.
Die offene Atmosphäre soll den Eindruck größtmöglicher Transparenz erwecken, denn: "Künstliche Befruchtung ist kein Tabu", wie Annemette Arndal-Lauritzen, CEO der European Sperm Bank, sagt. Vielmehr sei die Samenspende das natürlichste, was du tun kannst, um anderen zu helfen.
"Wir denken an die Zukunft", formuliert Arndal-Lauritzen ziemlich allgemein den Leitsatz der ESB. Die Rekrutierung geeigneter Spender sei dabei eine Aufgabe für sich: Zunächst werden Interessenten in Vorgesprächen auf ihre Motivation geprüft, außerdem werden persönliche Informationen über sie für die späteren Steckbriefe zusammengetragen. Es folgen die Gesundheitstests, bei denen auch Vorbelastungen durch eventuelle Erbkrankheiten ausgeschlossen werden. Im Durchschnitt sind laut Arndal-Lauritzen von 100 Bewerbern nur rund fünf als Spender geeignet.
Der gesamte Prozess bis zur Aufnahme in die Datenbank nimmt für den Spender mit allen Vorabtests ungefähr drei Monate in Anspruch. Die Abgabe der Probe, die nur vor Ort durchgeführt werden kann, wird anschließend so unkompliziert und flexibel wie möglich gehalten: Der Spender kann in der ESB vorbeikommen, wann er will, sich am Empfang per Fingerabdruck identifizieren und dann so viel Zeit nehmen, wie er braucht.
Die Rechtslage in Deutschland ist kompliziert
Sobald ein Spender akzeptiert wird, kann er außerdem wählen, ob er mit offener Identität oder als "nicht kontaktierbar" in der Kartei geführt wird. Die Profile enthalten hinterher zwar jeweils die gleiche Menge an Informationen, der Unterschied ist, dass Kinder eines nicht kontaktierbaren Spenders diesen später nie kontaktieren können. Diese Möglichkeit gibt es zum Beispiel in Deutschland gar nicht – hier ist nur die Behandlung mit offenen Spendern erlaubt.
Überhaupt ist die Rechtslage hierzulande komplizierter, was die künstliche Befruchtung angeht – zumindest für alleinstehende Frauen. Deren Kinderwunschbehandlung ist nicht ausdrücklich verboten, aber auch nicht explizit genehmigt. Lange sah eine Musterrichtlinie der Ärztekammer vor, Singlefrauen auszuschließen – erst 2018 wurde dieses Verbot in einer neuen Richtlinie getilgt.
Es wäre auch nicht mehr zeitgemäß, denn immer mehr Frauen über 30 wollen mit ihrem Kinderwunsch nicht mehr ewig auf den "richtigen" Mann warten. Viele Männer im gleichen Alter seien heutzutage aber längst noch nicht bereit, die entsprechende Verantwortung zu übernehmen, stellt Annemette Arndal-Lauritzen mit Unverständnis fest: "Du kannst nicht ewig mit Rucksack und Sneakern durch die Welt reisen – und überhaupt: Warum kannst du das nicht auch mit Kind machen?"
Entsprechend nehmen Frauen inzwischen ihren Kinderwunsch auch selbst in die Hand – ohne Vater. Eine von ihnen ist Hanna Schiller, die in ihrem Blog "Solomama plus eins" ihren Weg zur sogenannten "Single Mom by choice" erzählt: vom Entschluss über die Hindernisse bis zum Alltag als Mutter.
"Ich bin schwanger geworden, ohne dass ein Mann auf oder unter mir lag", sagt die 38-Jährige, und tatsächlich ist das für manche Menschen selbst in der heutigen Zeit immer noch unvorstellbar: "Singlefrauen über 30 mit Kinderwunsch haben in Deutschland die Arschkarte gezogen und sollten viel mehr unterstützt werden."
Hanna Schiller hatte diese Unterstützung nicht und musste sich ihre Informationen seinerzeit aus verschiedenen Foren zusammensammeln, immer auf der Suche nach Antworten auf die entscheidenden Fragen: Wie und wo kann ich schwanger werden?
Heute erfüllt ihr Blog vielen Singlefrauen mit Kinderwunsch genau diesen Auftrag: Sie wenden sich an Hanna Schiller mit persönlichen Erfahrungen oder Fragen. Viele Antworten finden sich bereits in den Beiträgen auf "Solomama plus eins", wo sie zum Beispiel singlefreundliche Kinderwunschkliniken in Deutschland, Dänemark, Holland und Spanien listet, Behandlungsmethoden diskutiert und über Kosten informiert.
"Deshalb funktioniere ich ganz automatisch"
Der Sohn von Hanna Schiller ist gerade zwei Jahre alt geworden: "Er ist ein ziemliches Energiebündel mit einem starken Redebedürfnis", sagt die junge Mutter. Natürlich gebe es Momente, in denen es etwas anstrengender sei, alleine mit Kind zu sein – erst recht, wenn sie krank sei, ihr Sohn aber trotzdem Unterhaltung brauche: "Aber dieses Phänomen kennt sicher jede andere Mama und jeder andere Papa auch."
Den Vorwurf des Egoismus hört Hanna Schiller immer mal wieder. Sie kontert ihn mit der Frage: "Warum ist der Egoismus einer Singlefrau um so vieles schlimmer als der Kinderwunsch eines Paares, das denselben Wunsch hat?" Schließlich seien bei Paaren mit Kinderwunsch sogar zwei Parteien beteiligt, die "aus rein egoistischen Motiven" ein Kind bekommen wollen: "Das Kind bekommt also die doppelte Ego-Ladung ab."
Die einen würden ihre Entscheidung nun mal als egoistisch bezeichnen, die anderen als mutig. "Vielleicht hat es etwas Selbstbezogenes, ein Kind zu bekommen", sagt Hanna Schiller ganz grundsätzlich. Vielleicht ist der Kinderwunsch aber auch einfach nur ein Zeichen dafür, das Leben zu lieben und deshalb ein Kind zu bekommen, um diesem zu zeigen, wie schön diese Welt ist.
Das zeigt Hanna Schiller ihrem Sohn also in alleiniger Verantwortung. Grundsätzlich sei sie sich im Klaren darüber, dass sie im Alltag niemand entlasten könne: "Deshalb funktioniere ich ganz automatisch." Sie nehme sich bei aller Dauerbereitschaft aber auch kleine Auszeiten, wenn es nötig sei: "Dann dusche ich etwas länger, lege mich nachmittags auch mal hin, wenn mein Sohn vor sich hin spielt, oder ich suche mir eine Unternehmung, bei der ich andere nette Eltern treffe, die Kinder im ähnlichen Alter haben, mit denen mein Sohn spielen kann."
So ungewöhnlich ihr Weg zum Kind für manchen Traditionalisten also gewesen sein mag, so vertraut klingt ihr Alltag als Mutter. Hanna Schiller ist jetzt die Zukunft, an die in der European Sperm Bank alle Mitarbeiter denken. Die Zukunft, die als grell-fluoreszierender Punkt auf grünem Untergrund ihren Anfang nimmt.