"Schönes" Landleben Heiraten, Baby, raus aufs Land - warum das für mich rein gar nichts ist

Von Ninia "LaGrande" Binias
Mutter und Kind genießen das Landleben
Ach ja, dieses idyllische Landleben ...
© iStockphoto/Getty Images
Das schöne Landleben wird unserer Autorin in ihrem Freundeskreis angepriesen: "Haus im Grünen, Freiheit, gute Luft. Besonders mit einem Baby." Sie erklärt uns, warum sie rein gar nichts daran reizt.

"Ach, und dann wollte ich dir noch was erzählen", kündigt F. an. Und ich weiß schon, was kommt. Die also jetzt auch. "Wir gucken uns Häuser an", sagt F. und freut sich. Aha. Da ist sie also wieder. Die aktuelle Dynamik in meinem Freundeskreis. Sie heiraten, kriegen ein Kind und schauen sich Häuser an.

Es wirkt wie ein Gesetz. Nicht, dass ich mich nicht für meine Freunde freue. Wenn das ihr Ding ist, wenn sie das wollen und wenn das Glück ihres Lebens an einem Haus hängt, dann bitte. Go for it. Aber ohne mich.

Als ich Mutter geworden bin, war ich in meinem Freundeskreis die erste. Die erste, die im Mutterschutz stundenlang Spaziergänge machte und Podcasts hörte. Die erste, die die Bedeutung des Wortes Schlafmangel ganz neu zu definieren wusste. Und die erste, die sich in Kursen über die Kacke-Konsistenz des eigenen Babys unterhielt. All die Mütter, und wenigen Väter, in diesen Kursen waren nett. Aber eben auch nur das. Freundschaften aufzubauen, während man jeden Tag stundenlang mit einem bauchwehgeplagten Baby durch die Wohnung tigert und darüber nachdenkt, wann man eigentlich das letzte Mal geduscht hat, ist nicht besonders einfach. Umso mehr wünschte ich mir, dass Menschen, mit denen ich schon befreundet bin, ein Baby bekommen würden. Menschen, die ich schon sehr gut kenne, vor denen ich quasi die Hose runterlassen kann – im übertragenen Sinn.

"Wenn ich Landleben möchte, besuche ich meine Oma"

Ich bin ein Stadtkind. Ich bin in einer Großstadt aufgewachsen, habe immer in Städten gelebt und wohne auch jetzt – mit Partner und Baby – mitten im lebendigsten Viertel unserer Stadt. Ich fühle mich gut, wenn ich weiß, dass der nächste Kiosk nur 20 Meter entfernt ist und der nächste Döner in drei Minuten erreichbar. Ein Auto brauchen wir nicht. Zweimal die Woche trifft sich das komplette Viertel auf dem Wochenmarkt und ich habe später die Qual der Wahl, wenn wir uns für einen der zahlreichen Spielplätze entscheiden müssen.

"Vielleicht wollt ihr ja doch irgendwann noch ein Häuschen." Selbst meine Mutter hat die Hoffnung nicht aufgegeben. Sie macht sich Sorgen, dass das Baby später zu wenig Natur um sich hat. Es sind zehn Minuten bis zur nächsten großen Grünanlage. Hier muss ich nie den Rasen mähen oder Unkraut zupfen. Und wenn das Baby den kuhfladigen Geruch der Freiheit riechen möchte, dann besuchen wir die Oma auf dem Dorf. Gegenüber unserer Wohnung ist die Grundschule. Ich könnte dem Kind, sobald es in die Schule kommt, das Pausenbrot quasi hinterherwerfen.

Freunde, die raus aufs Land ziehen, haben häufig diese Vision von "Ach, mit der S-Bahn sind wir ja dann schnell mitten in der Stadt". Anschließend sieht man sie monatelang nicht wieder. Außer, man macht sich selbst auf den Weg ins neue Häuschen. Mit Bus und Bahn und Überlandbus und Fußweg und der Frage im Kopf, wie man das schön finden kann.

Geschwätzige Dorfbewohner in der Nachbarschaft

"Landlust", "Landidee", "Landgarten" sind alles Zeitschriften, die sich dem Landleben widmen. Sie haben Hochkonjunktur. Sie verkaufen ein Image von uriger Gemütlichkeit in friedlicher Landschaft. Oasen der Ruhe und immer frische Luft. In Wirklichkeit sitzt man dann in einem kleinen Häuschen, in dem immer etwas renoviert werden muss, mit einem riesigen Berg an Gartenarbeit, geschwätzigen Dorfbewohnern und hat dabei immer den Naturdünger der Bauern in der Nase.

Da bleibe ich lieber bei Abgasen und Kugelgrill auf öffentlicher Wiese und habe das pralle Leben direkt vor der Haustür. F. ist sich trotzdem sicher, dass es ein alter Resthof sein soll, mit Hund, Baby, Werkstatt und allem Pipapo. Ich werde sie besuchen. Mit der S-Bahn sind wir dann ja wieder schnell zurück in der Stadt.

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