Für viele Jahrzehnte waren Spaniens verschlungene, sonnengetrocknete Pfade die Arbeitswege von Männern – von Schäfern, die ihre Herden auf dem Weg zu saftigen Wiesen durch die Landschaft trieben. Dies soll sich nun ändern: Die erste reine Schäferinnen-Schule des Landes möchte die von Männern dominierte Domäne der Landarbeit auch für Frauen öffnen. Doch die Escuela de pastoras del siglo XXI (auf Deutsch: Schule der Schäferinnen des 21. Jahrhunderts) verfolgt noch ein weiteres Ziel: Die Rettung spanischer Dörfer, die von der Landkarte zu verschwinden drohen.
Die Landflucht der Frauen
Spaniens ländliche Gebiete haben ein Problem. Laut des Centro Internacional sobre el Envejecimiento kommen hier nur rund 100 Kinder auf 149 Senioren. Eine katastrophale demographische Situation, findet die Gründerin der ersten Schäferinnen-Schule, Susana Pacheco, und betont gegenüber "The Guardian" die Wichtigkeit eines Generationenwechsels. Dafür seien Frauen fundamental. Diese zieht es jedoch im Vergleich zu den Männern vermehrt in die Städte, in denen sie attraktivere Jobs finden können. Die Konsequenz: Spaniens Dörfer werden immer älter und immer männlicher. "Ein Rückschritt", unterstreicht Lidia Díaz von der Spanischen Vereinigung gegen Entvölkerung, der Vereinigung, unter deren Banner auch die erste Schäferinnen-Schule auf den Weg gebracht wurde.
Seit Längerem versuchen bedrohte Dörfer, neue Anwohner mit besonderen Anreizen wie günstigen Grundstückspreisen oder Babysittern aufs Land zu locken. Die Schäferinnen-Schule in Kantabrien an der spanischen Nordküste ist jedoch das erste Angebot, das sich ausschließlich an Frauen richtet – und besonderes Augenmerk auf ihre Bedürfnisse legt. Neun Monate dauert die Ausbildung zur Schäferin und umfasst mehr als 450 Stunden Online-Unterricht sowie ein Praxiswochenende in den Bergen und tiefen Tälern Nordspaniens pro Monat. Zu den Praxiseinheiten können die Frauen auch ihre Kinder mitbringen, denn auf work-life-balance sowie eine Ausbildung, die auch mit dem Leben als Mutter vereinbar ist, legt die Schule großen Wert. Sie wirbt damit, eine Ausbildung des 21. Jahrhunderts anzubieten. Der Unterricht soll dabei jahrhundertealte Traditionen wie die Nutzung einheimischer Tierarten mit neuesten Technologien wie dem Einsatz von Drohnen zur Viehüberwachung verbinden. Außerdem gibt es Lehreinheiten in den Bereichen Imkerei, Käseherstellung, nachhaltigem Tourismus und nachhaltiger Landwirtschaft. So sollen die Frauen für eine zukunftsorientierte, ländliche Entwicklung gestärkt und mit vielfältigen Einnahmemöglichkeiten vertraut gemacht werden.
Eine Flut an Bewerberinnen
Seit Bewerbungsstart Anfang dieses Jahres haben sich rund 265 Frauen auf die 30 Schulplätze beworben. Sie kommen aus ganz Spanien, sogar von den Kanarischen Inseln. Die Gründe für ihren Wunsch nach einem ruhigeren Leben auf dem Land sind unterschiedlich: Die einen haben es nach einem Jahr Lockwdown satt, in ihren Stadtwohnungen eingesperrt zu sein, andere haben missbräuchliche Beziehungen hinter sich gelassen und wollen einen Neuanfang wagen. 12.000 Euro soll die Ausbildung zur modernen Schäferin kosten. Wann die ersten Frauen zurück aufs Land kehren und ihre Schulzeit beginnen werden, steht noch nicht konkret fest.