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Schwangerschaftsabbrüche Tabuthema: Warum deutsche Medizin-Studenten Abtreibungen an Papayas üben

Abtreibung
Amelie Kolandt bei einer Demonstration gegen den Paragraf 219a, der es Ärzten verbietet, auf die Ausübung von Abtreibungen hinzuweisen. Sie organisiert in Berlin Workshops, in denen Studenten anhand einer Papaya den Eingriff lernen.
© Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung; Sabrina Gröschke/Unsplash
An der Uni wird zum Tabuthema Schwangerschaftsabbruch nicht viel gelehrt. Medizin-Studenten aus Berlin wollen die Abtreibung jetzt aus der Schmuddelecke holen. Mit einem Papaya-Workshop.

Wer in Deutschland Medizin studiert und Gynäkologe werden möchte, hört im Studium von einem wichtigen Thema oft fast gar nichts: Schwangerschaftsabbruch. "Wir haben nur ein Seminar dazu und das konzentriert sich auf ethische und rechtliche Konflikte", erzählt die Berliner Medizinstudentin Amelie Kolandt im Gespräch mit NEON. Welche Methoden gibt es? Was muss man beachten? Wie wird eine Abtreibung konkret durchgeführt? All das lernen angehende Mediziner nur, wenn sie viel Eigeninitiative zeigen.

"Ich war so verblüfft, wie viel Unwissenheit unter den Studierenden herrscht", sagt Amelie. Deshalb engagiert sich die 25-Jährige bei der Studentengruppe "Medical Students for Choice" an der Berliner Charité. Ihr Ziel: Das Thema Abtreibung aus der Schmuddelecke holen. 

Über 100.000 Abtreibungen in Deutschland pro Jahr

"Viele wollen darüber nicht sprechen, weil es so heikel ist. Das Thema wird mit Fingerspitzen angefasst, weil es dieses nebulöse Strafbarkeits-Element hat. Ja, es gibt Ausnahmen, aber: Der große Grundsatz im Strafgesetzbuch ist immer noch, dass es illegal ist. Und deshalb lassen viele Gynäkologen lieber gleich die Finger davon", erklärt Amelie. In Deutschland können Abtreibungen nur bis zur zwölften Woche straffrei durchgeführt werden, oder wenn die Gesundheit der Mutter in Gefahr ist oder die Schwangerschaft durch kriminelle Handlungen entstand. Gerade war außerdem der Zusatzparagraf 219a in den Schlagzeilen, der es Ärzten verbietet, auf die Durchführung von Abtreibungen hinzuweisen. Das wiederum macht es den betroffenen Frauen schwer, geeignete Ansprechpartner zu finden.

Dabei sind Abtreibungen keine Seltenheit. Amelie nennt sie den häufigsten chirurgischen Eingriff in der Gynäkologie. Laut Statistischem Bundesamt wurden allein in Deutschland im vergangenen Jahr über 100.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Der Bedarf ist da - doch der Nachwuchs fehlt. 

Geübt wird mit Papayas - die ähneln einem Uterus

"Mir erzählen einige Gynäkologen aus der Praxis, dass es immer schwieriger wird, Mediziner zu finden, die den Eingriff lernen wollen. In Bayern gibt's einen Gynäkologen, der ist 70 Jahre alt, geht aber nicht in Rente, weil sonst keiner in der Region Abtreibungen durchführt. Da entwickelt sich ein Versorgungsproblem", sagt Amelie. Genau deshalb freut sie sich über den wachsenden Zuspruch an den sogenannten Papaya-Workshops.

Die "Medical Students For Choice" organisieren jedes Semester eine Art Seminar, laden erfahrene Gynäkologen ein und lassen sich die Möglichkeiten zum Abbruch erklären. Die Absaugung  wird dort ganz konkret mit Hilfe einer Papaya geübt. "Anhand der Kerne in der Frucht kann man nachvollziehen, ob man den 'Eingriff' richtig macht", erklärt Amelie.

So soll sichergestellt werden, dass es auch in Zukunft genügend Mediziner gibt, die den Eingriff routiniert durchführen können. Außerdem geht es auch darum, Vorurteile abzubauen. "Pro Choice heißt nicht, dass man Abtreibungen per se gut findet, und dass jede Frau, die ungewollt schwanger wird, abtreiben soll. Sondern, dass Frauen die Wahl haben sollten", sagt Amelie. 

Natürlich könne man niemanden zwingen, einen Abbruch durchzuführen. "Aber es am Model lernen oder theoretisch durchzusprechen, ist vertretbar", findet Amelie. Sie will, dass sich angehende Ärzte möglichst früh mit dem Thema befassen, gerade weil es einen ethisch-moralischen Konflikt gibt. "Jeder, der Gynäkologe werden will,  muss sich irgendwann dafür oder dagegen entscheiden. Und das geht nicht von heute auf morgen. Dieser moralische Reifungsprozess sollte viel früher angestoßen werden. Und das tut er im Rahmen unseres Medizinstudiums nicht."

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