Melodie Michelberger ist das, was man eine richtige Powerfrau nennt. Sie gilt als eine der größten deutschen Instagram-Influencerinnen in Sachen Body Positivity, Nachhaltigkeit und Mode, führt eine erfolgreiche PR-Agentur, ist Mitgründerin der Plattform trustthegirls.org, ziert regelmäßig die Seiten zahlreicher Magazine und ist Mutter eines zehnjährigen Sohnes, mit dem sie in Hamburg lebt. Und irgendwo dazwischen hat sie noch die Zeit gefunden, mit uns über Entwicklungen im Feminismus zu sprechen.
1. 100 Jahre Frauenwahlrecht: Warum braucht es immer noch Feminist*innen?
Weil wir immer noch in einer Gesellschaft leben, in der Frauen strukturell benachteiligt sind und Männer Angst haben müssen, Schwäche und Gefühle zu zeigen. Vor dem Grundgesetz sind Männer und Frauen zwar gleichberechtigt, aber von wirklicher Gleichberechtigung kann in unserer Gesellschaft nicht die Rede sein: Noch immer sind Diskriminierungen – zum Beispiel Sexismus und Rassismus – Alltag, noch immer darf in Deutschland gemäß Paragraf 219a nicht straffrei über Abtreibung informiert werden, mit 30,7 Prozent ist der Frauenanteil im Deutschen Bundestag so niedrig wie zuletzt vor zwei Jahrzehnten, der Gender Pay Gap liegt bei 21 Prozent und nur jeder zehnte Elterngeld-Monat wird von einem Mann genommen. Ich könnte jetzt noch viele weitere Beispiel aufzählen. So lange es nicht selbstverständlich ist, dass in jedem Bundesministerium mindestens genauso viele Frauen wie Männer sitzen, Männer genauso viele Elternzeit-Monate nehmen wie Frauen und jede dritte Frau* in ihrem Leben sexualisierte Gewalt erleben muss, brauchen wir Feminist*innen, die für Gleichheit und Freiheit kämpfen.
2. Wofür brennst Du besonders – und warum?
Sexismus, unrealistische Schönheitsideale und Geschlechterstereotype sind eng miteinander verwoben. Unsere Gesellschaft und Medien geben ein genau genormtes Schönheitsideal vor, unter dem besonders Frauen* zu leiden haben, denn sexistische Werbung suggeriert nicht nur die Minderwertigkeit von Frauen, sondern stilisiert sie zu Sexobjekten. Wenn wir Sexismus abschaffen wollen, dann kann es nicht sein, dass für Männer und Frauen unterschiedliche Schönheitsnormen gelten. Deshalb mache ich mich für die Rückeroberung der Selbstbestimmung über den eigenen Körper, für Body Positivity und Diversität und gegen Fatshaming und Lookismus stark, damit endlich alle Körper in ihrer ganzen Vielfalt, allen Körperformen, Altersgruppen und Hautfarben diskriminierungsfrei leben können.
3. Was läuft gut? Was braucht noch Veränderung?
Die #metoo Debatte hat nicht nur eine große Welle der internationalen Solidarität ausgelöst, sondern wir haben auch endlich öffentlich über sexualisierte Gewalt, Sexismus und Machtmissbrauch gesprochen. Durch Social Media hat der Hashtag eine noch nie dagewesene globale Präsenz erlangt, die immer noch von Dauer ist. Ich glaube, es ist vielen gar nicht bewusst, dass es bis jetzt noch nie eine so lang anhaltende Diskussion über Sexismus gab, wie jetzt. In unserer patriarchalen Kultur wird Gewalt gegen Frauen und Mädchen sonst weggeredet, und solche Debatten schnell wieder unter den nächsten Breaking News begraben.
In diesem Sinne wünsche ich mir noch sehr viel mehr Solidarität mit allen Frauen* – Feminismus sollte als gesamtgesellschaftliches Thema verstanden werden, nicht als "Frauenthema", mit dem sich Männer möglichst nicht befassen müssen. Schließlich leiden nicht nur Frauen* unter den patriarchalen Strukturen, sondern alle Menschen! Eine positive Entwicklung wäre zum Beispiel, dass mehr Männer Verantwortung übernehmen und sich öffentlich und laut für Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit stark machen. Wie wäre es mit einer von Männern initiierten Großdemo gegen Sexismus und Gewalt gegen Frauen und Mädchen, oder einer Demonstration, die sich für die Abschaffung des Paragrafen 219a stark macht? Das Thema Schwangerschaftsabbruch geht ja nicht nur Frauen etwas an!
4. Welchen Satz könnt ihr nicht mehr hören?
Den Satz "Alle Feministinnen hassen Männer!" kann ich wirklich nicht mehr hören! Dieses Vorurteil ist wahrscheinlich genauso alt, wie das Patriarchat und wird von Antifeministen bewusst gestreut, um Feministinnen zu diskreditieren und zu ärgern. Das ist einfach totaler Quatsch, ich antworte darauf auch gar nicht mehr.
5. Wer sind deine Vorbilder?
Es gibt so unfassbar viele mutigen Frauen, die den Weg für uns heute frei gemacht haben, die im Großen oder Kleinen für Gleichheit und Freiheit gekämpft haben und immer noch kämpfen, da fällt es mir wirklich schwer, nur ein paar wenige Frauen herauszupicken. Ich lese meinem zehnjährigen Sohn gerade das Buch "Good Night Stories for Rebel Girls" vor – 100 Geschichten über 100 starken Frauen, ein absolut empfehlenswertes und ermutigendes Buch (nicht nur für junge Mädchen)! So lerne ich jeden Tag sogar noch mehr inspirierende Frauen aus unterschiedlichen Epochen kennen!
Eine Frau, die mich schon in der Schulzeit beeindruckt hat, ist Sophie Scholl. Ihre letzten Worte sind so herzzerreißend und aktuell wie nie zuvor. Dankbar bin ich über all die wunderbaren Frauen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis, die ich persönlich kenne und die sich unermüdlich für eine gleichberechtigte Zukunft einsetzen – wie zum Beispiel Stevie Schmiedel, die Initiatorin von Pinkstinks Germany e.V., die sich gegen stereotype Geschlechterrollen und Sexismus in der Werbung einsetzt oder Kübra Gümüşay, Jessica Louis und Onejiru Arfmann – die aktuell ein Female Co-creation Space in Hamburg aufbauen, der visionäre Frauen international vernetzt.