Geschlechtskrankheiten sind auf dem Vormarsch: Die Zahl der Syphilis-Infektionen hat sich in Deutschland seit 2010 verdoppelt. Besonders häufig betroffen sind junge Männer im Alter von 25 bis 34 Jahren. Auch die Zahl an Infektionen mit Chlamydien, das sind Bakterien, die Frauen im schlimmsten Fall unfruchtbar machen können, steigt. Aber warum sind sexuell übertragbare Krankheiten unter jungen Erwachsenen so verbreitet?
Laut einer aktuellen Studie des Digital-Health-Unternehmens "Fernarzt.com" liegt das unter anderem an der mangelnden Aufklärung an Schulen. Der Report hat sich die Lehrpläne der einzelnen Bundesländer angeschaut und kommt zu dem Ergebnis: Die Inhalte sind oft veraltet, es wird zu spät über Sexualität gesprochen und sexuell übertragbare Krankheiten sind meist gar kein Thema. NEON hat anonym mit einer Lehrerin gesprochen und gefragt, wie die Lage in den Schulen wirklich aussieht.
Kerstin*, eine aktuelle Studie hat herausgefunden, dass der Sexualkundeunterricht an vielen deutschen Schulen auf veralteten Lehrplänen beruht. Du unterrichtest seit 15 Jahren Biologie an einem Hamburger Gymnasium – wie sieht euer Unterricht aus?
Bei uns an der Schule wird das Thema Sexualität schon in der sechsten Klasse besprochen, also wenn die Schüler so etwa 11 Jahre alt sind. Wir sprechen über unterschiedliche Themen wie Geschlechtsorgane, über Menstruation, über Schwangerschaft und natürlich über Verhütung. Dabei probieren wir auch Kondome aus und besprechen, wie man sie verwendet und auch das Thema HIV und Aids kommt zur Sprache. Zudem machen wir immer noch eine Stunde für Mädchen und Jungen getrennt, in denen dann spezielle Fragen gestellt werden können.
Die Studie fokussiert sich besonders auf das Thema sexuell übertragbare Krankheiten wie Syphilis. Dort nehmen die Neuinfektionen in den letzten Jahren stark zu. Wie wird das Thema bei euch behandelt?
Die Studie hat ja nur untersucht, was in den Lehrplänen steht – was dann effektiv unterrichtet wird, hängt natürlich sehr von der Lehrkraft ab. Wir sprechen im Rahmen der Aufklärung in der sechsten Klasse über AIDS, HIV und HPV. Andere übertragbare Krankheiten kommen dort aber tatsächlich kaum zur Sprache. Das steht eher in der zehnten Klasse auf dem Plan, wenn die Schüler deutlich älter sind. Ich persönlich halte das für relativ spät – hier gibt es auf jeden Fall Nachholbedarf.
Könnte mangelnde Aufklärung also ein Grund sein, warum die Zahlen bei sexuell übertragbaren Krankheiten steigen?
Das ist schwierig zu sagen. Aber es wird im Gespräch mit den Schülern schon deutlich, das viele die Gefahren von AIDS zwar kennen, aber mittlerweile eben auch wissen, dass man damit gut leben kann und es vielleicht nicht mehr so erschreckend finden. Über andere sexuell übertragbare Krankheiten sprechen wir noch wenig – da sind die Schüler dann wirklich auf Informationen und die Bewusstmachung von außerhalb angewiesen.
Wie ist es für dich, das Thema zu unterrichten?
Ich finde es immer toll, mit den Schülern ein offenes Gespräch zu führen. Natürlich bin ich in Fragen rund um Menstruation für die Mädchen eine andere Ansprechpartnerin, als vielleicht ein Kollege. Aber ich versuche, auch immer für die Jungs eine offene Atmosphäre zu schaffen. In diesen Gesprächen merke ich, wie wichtig es ist, auf das Thema Sexualität und auch Menstruation ehrlich, interessiert und unbefangen einzugehen. Oftmals kommen ganz einfache Fragen wie 'Was ist eine Slipeinlage' – aber genau da ist es wichtig, den Schülerinnen Informationen an die Hand zu geben. Es gibt aber auch einige Kollegen, die das Thema sehr ungern unterrichten und eine große Unsicherheit haben, wie man das Ganze angeht. In der Ausbildung zum Lehrer wurde bei mir diese Art des Unterrichts auch nicht besprochen.
In der Studie wird erwähnt, dass Kinder immer früher mit dem Thema Sexualität in Berührung kommen. Wie sind da deine Erfahrungen?
Ja, es ist sicher so, dass Jugendliche früh mit dem Thema konfrontiert werden. Man bekommt immer wieder mit, dass gerade Jungs über Videos sprechen, die sie online gesehen haben, die aber nicht für ihr Alter bestimmt sind. Wie die Kinder darauf reagieren, ist aber sehr unterschiedlich. Viele sind wirklich sehr aufgeklärt von zu Hause und haben eine offene Haltung. Andere sind verschämter, aber sobald man das Thema anspricht, entsteht schon ein Dialog, um Fragen zu stellen, die dann bei solchen Videos aufkommen.
Wenn du die Lehrpläne mitgestalten könntest, wie sollte denn der Unterricht aussehen?
Wir bräuchten auf jeden Fall mehr Zeit. Es gibt so viele Themen, die behandelt werden müssen und ich fühle mich oft sehr gehetzt. Zudem sollten die Richtlinien überarbeitet werden, damit man auch klare Anweisungen hat, was besprochen werden soll. Denn aktuell müssen wir andere Themen kürzen, um uns ausreichend Zeit für intensive Gespräche und die Fülle an Fragen, die die Schüler haben, zu nehmen. Außerdem spielen auch die Eltern eine große Rolle. Ich habe schon das Gefühl, dass in den Familien heute mehr über Sexualität gesprochen wird. Wenn man es schafft, in der Familie und auch in der Gruppe offener über Sexualität zu sprechen, kann man auch mehr auf das Thema aufmerksam zu machen.
Die Macher der Studie schlagen vor, dass die Krankenkassen neben der Pille auch Kondome bis zum 21. Lebensjahr bezahlen sollen.
Das finde ich grundsätzlich eine gute Idee. Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass die Kosten hier das Problem sind, sondern wirklich die Scheu vor dem Anwenden und auch die Tatsache, dann im Ernstfall wirklich ein Kondom dabei zu haben. Bei uns an der Schule haben wir jetzt dafür einen Kondomautomaten installiert, damit die Schüler besser auf solche Situationen reagieren können.
*Name von der Redaktion geändert