Nach dem Treffen mit den Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern wollte Lecornu mit Vertretern der Oppositionsparteien beraten. Wenn die Sozialisten zusagen würden, mögliche Misstrauensvoten der Links- und Rechtspopulisten nicht zu unterstützen, könnte Lecornu darauf hoffen, den Haushalt für 2026 fristgerecht durch das Parlament zu bringen.
Im Gegenzug fordern die Sozialisten eine stärkere Besteuerung großer Unternehmen und Wohlhabender, die sogenannte Zucman-Steuer, benannt nach dem französischen Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman. Dieser geht davon aus, dass der Staat bis zu 20 Milliarden Euro einnehmen könne, wenn er Vermögen über 100 Millionen Euro mit zwei Prozent besteuern würde. Dies würde etwa 1800 Haushalte in Frankreich treffen. Andere Wirtschaftswissenschaftler schätzen die möglichen Einnahmen auf höchstens fünf Milliarden Euro.
"Das ist keine Spinnerei der Sozialisten, das unterstützen 75 Prozent der Franzosen", sagte der sozialistische Fraktionschef Boris Vallaud dem Sender TF1. Der EU-Abgeordnete Raphaël Glucksmann, der zu einer Splitterpartei gehört, nannte die Zucman-Steuer "eine Voraussetzung für jeden Kompromiss".
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte eine höhere Besteuerung der großen Unternehmen und Wohlhabenden bislang ausgeschlossen, um die Attraktivität des französischen Wirtschaftsstandorts nicht zu gefährden.
Die sozialistische Partei PS dringt außerdem darauf, dass der neue Premierminister auf den Einsatz des Verfassungsartikels 49.3 verzichtet, der es der Regierung erlaubt, ein Gesetz oder Gesetzespaket ohne abschließende Abstimmung durch das Parlament zu bringen. An der Regierung wollen sich die Sozialisten jedoch nicht beteiligen, betont Parteichef Olivier Faure.
Lecornu hatte bei seiner Antrittsrede einen "Bruch" in Form und Inhalt mit der Politik seines Vorgängers François Bayrou versprochen. Er wolle "kreativer" sein und "ernsthafter" mit der Opposition verhandeln, hatte er betont. Lecornu zeigte sich bereits offen, die Debatte über die längst verabschiedete, aber immer noch heftig umstrittene Rentenreform wieder aufzunehmen, die unter anderem das Rentenalter von 62 auf 64 Jahre angehoben hatte.
Macron hatte Lecornu beauftragt, erst einen Kompromiss auszuhandeln und erst anschließend seine Regierungsmannschaft vorzustellen. Eine Frist setzte der Präsident dafür nicht. Allerdings steht Anfang Oktober die Regierungserklärung an. Zudem muss der Haushalt im Oktober der Nationalversammlung vorliegen, damit er bis Ende des Jahres verabschiedet werden kann.
Es wird damit gerechnet, dass mehrere Minister ihre Posten behalten. Justizminister Gérard Darmanin und Innenminister Bruno Retailleau lassen erkennen, dass sie im Amt bleiben wollen.
Die linkspopulistische Partei La France Insoumise hat bereits angekündigt, zu Beginn der nächsten Sitzungsperiode der Nationalversammlung umgehend einen Misstrauensantrag gegen Lecornu einzureichen, falls dieser nicht selbst die Vertrauensfrage stellt.
Der ehemalige Verteidigungsminister gilt als hartnäckiger Verhandler. In der Bevölkerung hat er allerdings nur wenig Rückhalt. In einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage erklärten knapp 70 Prozent der Befragten, dass Lecornu nicht ihren Erwartungen entspreche. Zugleich ist auch Macron auf einem Tiefpunkt der Zustimmung angelangt: Etwa 77 Prozent der Franzosen missbilligten in einer Umfrage von vergangener Woche seine Politik.
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