Fall Johanna Verdächtiger frei - Anklage möglich

Im Fall der 13-jährigen Johanna aus Lübeck ist der Verdächtige wieder auf freiem Fuß. Der Chatroom-Freund des Mädchens wurde aus der U-Haft entlassen, weil er glaubhaft versicherte, er habe das Mädchen wegen ihres Äußeren für älter gehalten. Trotzdem kann er der Staatsanwaltschaft zufolge noch wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt werden.

Dem Chatroom-Freund der aus ihrem Elternhaus ausgerissenen 13-jährigen Johanna droht trotz seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft möglicherweise eine Anklage wegen sexuellen Missbrauchs. "Der objektive Tatbestand ist nach wie vor gegeben: Das Kind war 13 Jahre alt. Es ist zu sexuellen Kontakten gekommen", sagte Oberstaatsanwalt Robert Deller. Eine Anklage sei somit durchaus denkbar.

Die 13-Jährige aus Lübeck war Anfang Mai weggelaufen und bundesweit gesucht worden. Nach mehreren Wochen wurde sie bei dem 24-Jährigen in Kall bei Euskirchen in Nordrhein-Westfalen gefunden.

Der Verdächtige hat nach Einschätzung der Ermittler jedoch glaubhaft versichert, er habe das Mädchen wegen ihres Äußeren für älter gehalten. Auch Nachbarn hätten bestätigt, das Mädchen habe älter auf sie gewirkt. "Danach mussten wir davon ausgehen, dass das Kind ausgesehen hat wie 15 oder 16 Jahre", sagte Deller. Auch der E-Mail-Verkehr des Mannes sei ausgewertet worden. Johanna hatte ihn in einem Chatroom im Internet kennengelernt. "Dabei haben wir festgestellt, dass über das Alter des Kindes offensichtlich nicht gesprochen worden ist."

Von daher habe er keine Rückschlüsse auf das tatsächliche Alter ziehen können. Diese subjektive, wenn auch falsche Einschätzung des 24-Jährigen habe zur Aufhebung des Haftbefehls geführt. Nach weiteren Überprüfungen werde über eine mögliche Anklage entschieden. Der Strafrechtsprofessor Tonio Walter wies in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa darauf hin, dass ein Erwachsener bei einer sexuellen Beziehung zu einem Mädchen nicht verpflichtet sei, dessen Alter zu überprüfen. "Es besteht im Strafrecht keine Erkundigungspflicht."

In einem Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gehe es allein um die Frage, ob ein Erwachsener wusste oder billigend in Kauf nahm, dass ein Mädchen noch unter 14 Jahre alt war. "Wenn er tatsächlich darauf vertraut hat, sie sei schon 16, weil sie es gesagt hat, spielt es keine Rolle mehr, wie verwerflich das Vertrauen gewesen sein mag", sagte der Strafrechtler der Universität Regensburg.

Wenn auch das Gericht davon ausgehe, dass der Angeklagte sich des tatsächlichen Alters des Mädchens nicht bewusst gewesen ist, dann könne es den Mann auch nicht verurteilen. Strafbar sei dagegen der bedingte Vorsatz. "Bedingter Vorsatz liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn jemand die Möglichkeit eines strafbaren Verhaltens erkennt und sie billigend in Kauf nimmt, sich also sagt: und wenn schon."

DPA
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