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NSU-Ermittlungen Was wussten die Minister Friedrich und de Maizière?

Schredderorgien und Vertuschungsversuche bei Geheimdiensten und im Innenministerium – die SPD-Obfrau Eva Högl fordert im Interview mit stern.de eine Aufklärung durch den Untersuchungsausschuss.

Frau Dr. Högl, wie bewerten Sie die Schredder-Affären beim Verfassungsschutz und im Innenministerium?
Es ist völlig unverständlich, dass überhaupt Dateien und Akten vernichtet wurden, nachdem im November 2011 bekannt wurde, dass die Zwickauer Terrorzelle zehn Morde, vier Banküberfälle und zwei Sprengstoffanschläge begangen hat. Ich werfe Innenminister Hans-Peter Friedrich vor, dass er nicht unmittelbar nach Bekanntwerden der NSU-Taten veranlasst hat, dass keine einzige Akte und keine Datei aus dem Bereich Rechtsextremismus mehr gelöscht werden darf, bevor dieser Vorgang nicht restlos aufgeklärt ist. Es ist bis heute unklar, aus welchem Motiv Akten gelöscht wurden, ich gehe aber davon aus, dass es eine gezielte Aktion war.

Welche Konsequenzen ziehen Sie aus den Schredder-Affären beim Verfassungsschutz und im Innenministerium?
Das muss im Untersuchungsausschuss restlos aufgeklärt werden. Wir müssen wissen, wann wurde was vernichtet und warum. Dazu brauchen wir Zeugenaussagen unter Wahrheitspflicht und Aktenbeweise im Untersuchungsverfahren. Sollte die Bundesregierung sich weigern, diesen Weg zu gehen, muss der Untersuchungsauftrag förmlich erweitert werden.

Wie fügt sich die am Dienstag bekannt gewordene Aktenverheimlichung beim MAD in die Reihe ein?
Es ist ein Skandal, dass uns der gesamte Vorgang nicht vor der Vernehmung des MAD-Zeugen vorgelegt wurde. Ich hätte eigentlich nicht gedacht, dass so etwas nochmal vorkommt. Ich bin entsetzt, dass die Bundesregierung anscheinend die Dimension unserer Arbeit noch immer nicht erfasst hat. Wir wollen die Hintergründe von zehn Morden aufklären, da erwarte ich von den Ministerien, dass sie jede Akte, die relevant sein könnte, sofort übermitteln und uns helfen unsere Arbeit zu machen.

Die MAD-Affäre zeigt aber auch, dass der Untersuchungsausschuss hervorragend arbeitet: Wir finden alles raus.

Wer sind die politisch Verantwortlichen?
In diesem Fall natürlich vor allem der Verteidigungsminister Thomas de Maizière, der sein Fehlverhalten gegenüber dem Ausschuss ja inzwischen auch öffentlich eingeräumt hat. Der Minister wusste offenbar bereits im März davon, dass der MAD Mundlos während seiner Bundeswehrzeit offiziell befragt hatte. Mir gegenüber wurde jedoch noch vor kurzem bei meiner Akteneinsicht in Treptow auf konkrete Nachfragen hin mitgeteilt, es habe keinen Kontakt des MAD mit Mundlos gegeben. Und genau so wurde auch die Öffentlichkeit noch im Juli dieses Jahres in die Irre geführt.

Mein Vorwurf geht aber auch in Richtung Bundesinnenministerium: Friedrich ist unglaublich unengagiert und macht den NSU nicht zu seinem Thema, weder die Aufklärung der Hintergründe, noch die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind. Er trägt nichts Eigenes dazu bei, dass der Untersuchungsausschuss hier vernünftig arbeiten kann.

Außerdem haben wir im Oktober Klaus-Dieter Fritsche als wichtigen Zeugen geladen: Er war über die ganze Zeit, die die Terrorzelle akitv war, in verantwortlichen Positionen beim Verfassungsschutz und beim Bundesinnenministerium, zum Beispiel wusste er von Anfang an von der Operation Rennsteig. An wesentlichen Stellen hatte er Verantwortung sowohl für die Behandlung des Falls seit 1998, als auch für die Aufklärung nach Bekanntwerden der Terrorzelle im November 2011 getragen. Damit ist er heute seltsamerweise für die Aufarbeitung der eigenen Versäumnisse im Verfassungsschutz zuständig.

Wie groß ist der Schaden, der durch die Aktenvernichtungen verursacht wurde?
Die Aktenvernichtungen haben größeren Schaden angerichtet, als der pure Verlust von Informationen: Das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden, insbesondere in den Verfassungsschutz, ist komplett angeschlagen. Verschwörungstheorien schießen wild ins Kraut.

Eva Högl ...

DPA ... sitzt für die SPD seit 2009 im Bundestag. Die Juristen ist Sprecherin ihrer Partei im Untersuchungsausschuss zu den Morden des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU).

Lena Kampf

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