Eigentlich hatte ich mich ans Laptop gesetzt, um die Kolumne zu schreiben. Uneigentlich habe ich circa 30 andere Dinge getan – ein ganz normaler Tag so weit also. Dann, ich wollte wirklich, also wirklich, wirklich gerade beginnen, machte meine Mail ein weiteres Mal Ping. Hurra, ein weiteres Prokrastinationsangebot:
Ein Telekomunternehmen schlug in Zusammenarbeit mit der Johanniter-Unfallhilfe ein 45-minütiges Online-Trainingsprogramm in Sachen Erste Hilfe vor. Mit bestem Gewissen sinnvoll Zeit vertrödeln – komm, besser wird’s nicht, dachte ich, da bin ich natürlich sofort dabei.
Allzu lang ist der Erste-Hilfe-Kurs her
Meinen letzten Erste-Hilfe- Kurs habe ich vor 42 Jahren im Rahmen der Führerscheinprüfung gemacht. Hatte ich das alles noch drauf? Stabile Seitenlage, Rautek-Griff? Beatmen, Herzmassage? Natürlich nicht. Ich erinnerte mich noch grob daran, dass man eine Herzdruckmassage im Rhythmus von "Stayin’ Alive" von den Bee Gees machen sollte ("Ha, ha, ha, ha, stayin' alive, stayin' alive", gesungen im höchsten Falsett – das werden Sie heute nicht mehr los, gern geschehen), aber wo man die Hand auflegen und wie oft man pumpen soll und wie oft im Wechsel beatmen – keine Ahnung. Höchste Zeit also für eine Auffrischung.
Ich weiß jetzt also, wie man eine Rettungsdecke mit dem Ziehharmonika-Trick unter einem Bewusstlosen ausbreitet und dass man schwangere Frauen in der stabilen Seitenlage auf die linke Körperseite legt, weil sonst eine wichtige Vene abgedrückt werden könnte. Ich weiß, wie die Schocklage geht (Beine hoch!) und wie man bei starken Blutungen einen Druckverband mit einem zweiten Mullpäckchen macht. Theoretisch zumindest, denn die Frage aller Fragen bleibt: Weiß ich das auch noch, wenn es ernst wird?
Zum Glück war die Lage schon im Griff
Im letzten Herbst passierte ich auf der Landstraße eine Unfallstelle mit einem zerbeulten Auto im Graben, es standen schon zwei weitere Autos dahinter, die Lage war im Griff, aber was wäre gewesen, wenn ich das erste Auto am Unfallort gewesen wäre? Hätte ich auch nur geahnt, wo in der rollenden Mülltonne, die sich mein Auto nennt, der Erste- Hilfe-Kasten vergraben ist? Hätte ich ihn schnell genug gefunden, hätte ich gewusst, was zu tun ist? Damals nicht, heute vielleicht ein bisschen besser. Theoretisch, wie gesagt. Etwas wissen und etwas tun sind ja bekanntlich himmelweit voneinander entfernt.
Spannend fand ich eine Situation in dem Trainingsprogramm, in der die Retterin einen Verletzten mithilfe des Rautek-Rettungsgriffs abseits bringt. "So vermeidet Christine weitere Verletzungen. Ferner ist es auch für die 'Psychische Erste Hilfe' besser, wenn der Betroffene nicht auf den Unfall-/Notfallort schauen muss." Es geht eben nicht nur um Verbinden und Beinehochlegen, sondern auch um Trösten und Beistand, um das Gefühl: Ich bin nicht allein, da ist einer bei mir.
Meistens kommt die Erleuchtung zu spät
Ich selbst, das wurde mir schon oft nahegelegt, bin ziemlich mies in Psychischer Erster Hilfe. Einer Freundin geht es nicht gut, und ich habe sofort Dutzende von guten Ideen, was sie unternehmen müsste, damit es ihr besser ginge, nur eine Idee habe ich eben meist nicht: einfach mal keine Ideen zu haben und nur zuzuhören. Keine schlauen Problem- lösungen parat haben, sondern Anteilnahme und Mitgefühl, ein offenes Ohr und ein offenes Herz, das ist es meist, was die beste Wiederbelebungsmaßnahme für die Notlagen des Alltags ist. Herzdruckmassage, aber anders.
Liebe Johanniter: ein kleines Online- Trainingsprogramm in Psychischer Erster Hilfe vielleicht mal? Ich würd's schauen.