Da, wo ich acht Monate im Jahr wohne, also ganz weit weg, gibt es im Nachbarörtchen eine Räucherfischbude. Räucherfischbude plus Fahrradverleih, um genau zu sein. Ausleihen kann man von 10 bis 13 Uhr, Rückgabe am Nachmittag, "Keine Reparatur!" Die Ansagen sind klar in unserer Gegend.
Derzeit allerdings geht gar nichts mehr, weder Fisch noch Fahrrad, weil die Bude seit mehreren Wochen mit einer Spanplatte vernagelt ist, und auf der Spanplatte ist mit neun Reißzwecken ein laminiertes Schild befestigt. Darauf steht: "DICHT!!!"
Meike Winnemuth: Um es kurz zu machen
Meike Winnemuth schreibt Kolumnen, seit sie Buchstaben kennt, seit 2013 auch für den stern. Lange hatte sie einen kolossalen Minderwertigkeitskomplex gegenüber Autoren, die 900-Seiten-Wälzer hinkriegen. Inzwischen hat sie sich damit abgefunden, dass sie eine Textsprinterin mit Kurzstreckenhirn ist und bekennt sich zum norddeutschen Motto "Nicht lang schnacken". Wenn sie sich dann allerdings doch mal zu einem richtigen Buch quält, wird das verrückterweise gleich ein Bestseller wie ihr Reisebuch "Das große Los. Wie ich bei Günter Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr".
Ohne Bla
Jedes Mal, wenn ich beim Spazierengehen an der verrammelten Bude vorbeikomme, muss ich lachen. Da steht nicht "Geschlossen" und schon gar nicht "Verehrte Kundschaft, für diese Saison haben wir leider … bla, bla, bla ... danken Ihnen für die Treue ... bla, bla ... Wir öffnen wieder am ... bla, bla ... und freuen uns auf Sie ... bla".
Nein, es ist einfach nur dicht, genauer DICHT, ganz genau DICHT!!! Drei Ausrufezeichen, neun Reißzwecken. Zuerst hatte ich gedacht, die hätten vielleicht das Geschäft für alle Zeiten geschlossen, aber dann entdeckte ich alte Löcher im Laminat, schon etwas rostig geworden von den Reißzwecken der vergangenen Saisons. Das Schild wird also Jahr für Jahr reaktiviert, und man spürt fast die Erleichterung und helle Freude des Fischräucherers und Fahrradverleihers, wenn er es im Winter aus der Schublade holt und draußen anbringt.
Nu is auch ma gut, sagt das Schild, jetzt ist Schluss für dieses Jahr. Basta. Es reicht. Das tut es ja auch wirklich. Es war ein langes, merkwürdiges Jahr, und das kollektive Ausatmen, das immer in dieser Zeit zwischen Weihnachten und Silvester zu hören ist, zwischen den Jahren, zwischen dem Nicht-mehr und dem Noch-nicht, scheint dieses Mal noch erschöpfter zu klingen als sonst, seufzender. Lasst mich bloß in Ruhe, höre ich überall, ich mach nichts, absolut gar nichts, ich liege auf dem Sofa, ich will meine Ruhe, ich habe nicht mal Bock wegzufahren, und auf Silvester habe ich erst recht keinen Bock. DICHT!!! Unansprechbar, unzuständig, Totalverweigerung. DICHT!!! Wie befreiend, der Welt das mal mit drei Ausrufezeichen ins Gesicht zu pampen.
Bezaubernd exzentrische Öffnungszeiten
Mein zweites Lieblingsschild findet sich da, wo ich vier Monate im Jahr wohne, in der Großstadt. Es sind die Öffnungszeiten des Schusters bei mir um die Ecke: Montag 8.30 bis 18 Uhr, Dienstag geschlossen, Mittwoch und Donnerstag 14 bis 19 Uhr, Freitag 8.30 bis 12.30 Uhr, Samstag geschlossen. Kein Mensch kann sich das merken, die meisten, die ich kenne (ich inklusive), haben das Schild irgendwann aus purer Notwehr abfotografiert und konsultieren vor jedem Besuch ihr Handy-Archiv.
Dabei sind die Öffnungszeiten schon leicht geglättet, lange war beispielsweise am Freitag bis 12.50 Uhr geöffnet, was ich bezaubernd exzentrisch fand. Es hatte mit einem Anschlusstermin zu tun, hat mir der Schuster mal erklärt, er musste am Freitag irgendwo hin und deshalb um 12.50 Uhr aus dem Haus. Ganz einfach.
Was mir daran so gut gefällt: dass er sich erlaubt hat, die Zeiten seiner Verfügbarkeit selbst festzulegen. Er ist halt dann da, wenn es für ihn gut passt.
Hat ja auch noch anderes zu tun.
Die Rückeroberung der eigenen Zeit kann man in diesen kostbaren Tagen zwischen den Jahren gut proben. Viel ist sowieso nicht los, man schleppt sich von Feiertag zu Wochenende, kommt spät, geht früh. Zeit, über die Zeit nachzudenken, die selbstbestimmte Eigenzeit und diejenige, die man der Welt schenkt. An dem Verhältnis lässt sich noch ein bisschen was verschieben, da geht noch was, in nahezu jedem Leben.
