Der "Kannibale von Rotenburg" hat von einem bürgerlichen Familienleben geträumt. Neben Opfern für seine Gewaltfantasien suchte der Angeklagte Armin Meiwes gleichzeitig eine Frau fürs Leben und wollte viele Kinder haben, schilderten zwei Frauen am Freitag vor dem Kasseler Landgericht. Die familiäre Geborgenheit, nach der Meiwes sich sehnte und die ihm selbst als Kind getrennter Eltern fehlte, fand er bei Nachbarn und Bekannten sowie deren Kindern. Der Aufbau einer festen Beziehung zu einer Frau aber, die er am liebsten zu sich ins Haus genommen hätte, scheiterte stets.
Freundlich, hilfsbereit und kinderlieb
Die beiden Zeuginnen schilderten Meiwes am achten Tag des Kannibalismus-Prozesses als freundlichen, hilfsbereiten und kinderlieben Mann, der sich nach einer eigenen Familie gesehnt habe. Bei beiden Frauen habe er indes vergeblich versucht, eine feste Partnerschaft aufzubauen. Unter anderem standen seine ebenfalls offen geäußerten homosexuellen Neigungen dem Familienglück im Weg. Meiwes hat gestanden, einen Berliner Ingenieur mit dessen Einverständnis getötet, zerlegt und gegessen zu haben.
"Er war selber ein Kind"
Eine 39 Jahre alte Frau sagte aus, sie habe eine Beziehung abgelehnt, als Meiwes ihr von seinen homosexuellen Neigungen berichtete. "Er machte einen sehr kindlichen Eindruck, wie er mit den Kindern spielte, er war selber ein Kind", sagte die Zeugin. "Ich habe gemerkt, dass er sich wohl gefühlt hat bei uns in der Familie." Nach Darstellung des Angeklagten soll es nicht zu einer Beziehung gekommen sein, weil die Frau keine weiteren Kinder mehr bekommen konnte. Auch eine Nachbarin berichtete, Meiwes habe Interesse an ihr gezeigt. Er habe den Wunsch geäußert, zu heiraten und viele Kinder zu haben. "Armin ist ein sehr gefühlsbetonter und sensibler Mensch."
Bei den Nachbarn beliebt
Bei den Nachbarn in dem kaum 30 Einwohner großen osthessischen Wüstefeld war Meiwes den Frauen zufolge sehr beliebt. "Er nahm am Familienleben teil und passte auf die Kinder auf", sagte eine Zeugin. Man setzte sich zum Kaffee oder Fernsehen zusammen. Wenn Hilfe benötigt wurde, war er sofort zur Stelle. Den in seinem Haus eingerichteten "Schlachtraum" und die im Computer gespeicherten Gewaltbilder bekam niemand zu Gesicht. Nur über Meiwes Homosexualität sei im Ort gemunkelt worden.
Der Bruder: Normale Kindheit
In seiner Kindheit sei Meiwes in ganz normaler Junge gewesen, schilderte einer seiner beiden älteren Halbbrüder in einem vor Gericht verlesenen Vernehmungsprotokoll. Die Aussage vor Gericht verweigerte der 48-Jährige hingegen. "Er hat gerne Modellhäuser gebastelt und im Garten gespielt." Ein besonderes Interesse an Gewalt oder dem Schlachten von Tieren habe er bei seinem Bruder nie festgestellt. "Er war ein ganz normaler Typ, er hat sich auch mal mit anderen geprügelt." Über Kannibalismus habe er nie gesprochen. Als er von der Tat erfahren habe, sei er fassungslos gewesen. Meiwes ebenfalls als Zeuge geladener Vater erschien am Freitag wegen Krankheit nicht.
"Wenn ich allein bin, bin ich ein Häufchen Elend."
Meiwes trat vor Gericht am Freitag abermals ruhig und gefasst auf. Streitlustig und verärgert zeigte er sich lediglich, als er selber einige Fragen an seine ehemalige Bekannte richtete, die vor Gericht von intimeren Kontakten nichts mehr wissen wollte. In einem vor Gericht verlesenen Brief an eine Nachbarin erklärte Meiwes, den ganzen Rummel um ihn und die Sensationsgier der Zuschauer finde er scheußlich. Ihm sei es peinlich, dass er den Leuten so schlimme Worte zumuten müsse. "Wenn ich allein bin, bin ich ein Häufchen Elend."
Von Michael Evers, dpa