Fallgeschichte Der Junge und der Polizist

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Kriminalhauptkommissar Uwe Fey
Im Besprechungsraum des K11 im Frankfurter Polizeipräsidium lagern 25 Meter Akten zum Fall Tristan. Uwe Fey hat sie mit Kollegen Seite für Seite durchgearbeitet. Er fand ein Gesicht, aber nicht den Mörder
© Gene Glover
Tristan war 13, als er bestialisch ermordet wurde. 150 Polizisten suchten damals nach dem Täter. Heute sucht nur noch einer: Uwe Fey, Kriminalhauptkommissar. Der Fall lässt ihn nicht los, auch nach 17 Jahren nicht.

Hinweis XV-718 führt zu einem weiß-grauen Sozialwohnungsblock in Frankfurts Westen, Sossenheimer Weg. Einer dieser Orte, an denen Sonnenschein die Trostlosigkeit nur noch greller ausleuchtet. Uwe Fey, hochgewachsen, 54 Jahre, davon 25 Jahre Mordkommission, studiert die Klingelschilder. Er ist nicht zum ersten Mal hier, entdeckt den Namen eines Mannes, den er mal ins Gefängnis gebracht hat. Sein Blick wandert die Schilder weiter hinab.

Das ist hier ja fast offener Vollzug, brummt Fey, mit 16 Jahren Dienstantritt bei der Polizei, seitdem mehr als 1000 Leichen in Augenschein genommen, 150 Tötungsdelikte federführend ermittelt.

Er ist hier wegen eines Mordes, der 17 Jahre zurückliegt. Wegen eines der schrecklichsten und aufsehenerregendsten Verbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik.

Die meisten Morde lassen sich schnell lösen. In 99 Prozent der Fälle kannten sich Täter und Opfer, Fey muss dann das Umfeld abklappern, oft ist nach spätestens vier Wochen alles geklärt. Wenn er Glück hat, steht der geständige Ehemann noch neben der erstochenen Ehefrau.

Ein Mörder hinterlässt stets Spuren. Damit können Fey und seine Kollegen vom K11 einen Täter fast immer überführen. Ihre Aufklärungsquote liegt bei über 90 Prozent. Manchmal reichen die Spuren aber nicht aus. Auch nach jahrelangen Ermittlungen nicht. Und mit jedem Jahr sinkt die Wahrscheinlichkeit, den Täter zu finden. Mord verjährt nicht. Aber die Spuren werden in all den Jahren selten besser.

Es ist nicht mehr so, dass jeder neue Hinweis Adrenalin durch seinen Körper pumpt. Auch Hinweis XV-718 nicht. Aber was soll er tun? Den Hinweis lochen und wegheften? Nein, sagt Uwe Fey. Ein guter Kommissar beißt sich fest, auch wenn es schwierig ist. Vor allem, wenn er der Letzte ist, der den Täter jagt. Und im Mordfall „Tristan“ ist er, Kriminalhauptkommissar Uwe Fey, der Letzte.

Tristan auf einem Skateboard
Das Foto des Kindes auf dem Skateboard ist eines der wenigen Bilder, die es von Tristan gibt
© Gene Glover

Der Hinweis kam aus Ankara, Fey gab ihm gleich die Nummer XV-718. Eine von Feys Maximen: Hält man keine Ordnung, findet man den Täter nie. Ein türkischer Student rief an, er sagte, er habe im Internet das Phantombild von Tristans mutmaßlichem Mörder gesehen. Er sei sicher, diesen Mann 2011 in einer Wohnung des Sozialblocks im Sossenheimer Weg gesehen zu haben, als er noch in Deutschland lebte. Er erinnere sich an die Hausnummer nicht mehr, aber dass die Wohnung im fünften Stock gelegen habe.

Jetzt sucht Fey im beschmierten Hausflur die Telefonnummer der Hausverwaltung. Er braucht die Namen aller Mieter, die um 2011 herum in diesem Komplex im fünften Stock gewohnt haben. Ob ihn das zum Ziel führt? Da ist er sich selbst nicht sicher. Andererseits: Warum sollte ihm Hinweis XV-718 nicht endlich, 17 Jahre nach diesem 26. März 1998, ein erstes Mal Glück bringen, auch wenn die Beobachtung noch so vage klingt und noch dazu vier Jahre zurückliegt?

Erschienen in stern Crime 1/2015