Essay Reine Ermessenssache

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  • von Chantale Rau
Polizist auf einer Bildpostkarte um 1910
Polizist auf einer Bildpostkarte um 1910
© akg-images
Polizisten haben einen eigenen Entscheidungsspielraum. Was ihnen oft nicht bewusst ist: Das kann sie sehr bedrohlich wirken lassen

Kurz vor neun, ich muss zur Arbeit, bin spät dran. Ich drücke aufs Gas, sause durch die Stadt. Blitz! Verdammt. Ich schaue auf den Tacho. Ich war mit etwa 60 km/h unterwegs, erlaubt waren 50. Ich biege ab, dort winkt mich die Polizei raus. Ein kleines Bußgeld wird wohl fällig, denke ich. 15 Euro, vielleicht 25. So sind die Beträge 2018, in dem Jahr, in dem ich geblitzt worden bin. Ich war zu schnell, das gebe ich sofort zu. Ich soll aussteigen. Mit finsterem Blick schaut der Polizeibeamte auf mich herab. „Haben Sie schon einmal einen Joint geraucht?“, fragt er. Ich bin verblüfft und muss lachen. Denn ich habe mit vielen Fragen gerechnet. Aber nicht mit dieser – auf dem Weg zur Arbeit, mitten in der Woche und dann auch noch in dieser Herrgottsfrüh!

Erschienen in stern Crime 48/2023