M. ABDOLLAHI: DIE LÖSUNG IST GANZ EINFACH Ofarims Kette hin, Ofarims Kette her – wir haben ein riesiges Problem mit Antisemitismus

Von Michel Abdollahi
Abdollahi Ofarim
Ist Gil Ofarim in Leipzig antisemitisch beleidigt worden, oder nicht?
© Gerald Matzka / Picture Alliance
Keine Ahnung, was im Leipziger Hotel wirklich passiert ist, als Gil Ofarim einchecken wollte. Doch der Hass, der ihm mittlerweile entgegenschlägt, ist unerträglich und zeigt, wie weit Antisemitismus in unserer Gesellschaft verbreitet ist.

Ist Gil Ofarim in Leipzig antisemitisch beleidigt worden, oder nicht? Auf einem viral gegangenen Video vor zwei Wochen erzählt der Sänger von einem Vorfall in einem Hotel in Leipzig und hält demonstrativ seine Kette mit Davidstern in die Kamera. Nun wurden Bilder von diesem Abend veröffentlicht, die zeigen sollen, dass Gil Ofarim diese Kette angeblich nicht getragen hat. Doch delegitimiert das seine Vorwürfe? Ich habe dazu ehrlich gesagt, meine ganz eigene Meinung.

Die Springer-Presse ist wieder investigativ unterwegs und versucht ganz dringend herauszufinden, ob Gil Ofarim im Leipziger Hotel nun sichtbar eine Kette mit Davidstern trug als er antisemitisch beleidigt wurde oder nicht. Warum ausgerechnet Springer, lasse ich jetzt mal unkommentiert.

Michel Abdollahi
© Max Baier & Arian Henning

Michel Abdollahi: Die Lösung ist ganz einfach

Ohne mit der Wimper zu zucken geht er auf Tuchfühlung mit Rassisten und Faschisten. Er zerlegt den Kunstmarkt genauso wie die German Angst, zieht Vergleiche heran, die sich die wenigsten trauen. Geboren in Teheran, aufgewachsen in Eidelstedt, merkte Abdollahi schnell, dass seine Heimat die Bühne ist. Er gründete mit "Kampf der Künste" das international größte Label für Poetry Slams, lebte vier Wochen im mecklenburgischen Nazidorf Jamel und ergründet in seiner NDR-Talkshow "Käpt‘ns Dinner" im U-Boot die Tiefen der menschlichen Psyche.

Keine Ahnung, was wirklich passiert ist

Wir haben keine Ahnung, wie glaubwürdig die Aufnahmen sind. Wir haben auch keine Ahnung, was im Hotel wirklich passiert ist. Was wir wissen ist, dass das Hotel nach dem Vorfall von einem Fettnapf in den nächsten Fettnapf getreten ist. Erst mit dem unsäglichen Banner mit Israelflagge und Halbmond und dann mit der Beauftragung einer einschlägig rechtsextremen Security-Firma zur Absicherung des Hotels. Ein Schelm, wer da Böses denkt.

Jetzt wurden die Videoaufnahmen veröffentlicht. Darüber kann und sollte man diskutieren. Aber jetzt geht es erst richtig los. Der Hass der Gil Ofarim entgegenspringt, ist unerträglich und zeigt deutlich, wie weit Antisemitismus in unserer Gesellschaft verbreitet ist. Man muss nur die abertausenden Kommentare lesen. Ob unter seinen eigenen Posts oder unter den Artikeln auf Facebook & Co. Die widerlichsten Beleidigungen. Kollektiv wünscht man ihm den Tod. Jüdische Verschwörungsgeschichten.

Dabei heißt es nach wie vor erstmal nur: keine Kette zu sehen. Das heißt nicht, dass es keinen antisemitischen Vorfall gab und Gil Ofarim sich das ausgedacht hat. Wenn jemand sagt, er sei aufgrund seines jüdischen Glaubens antisemitisch beleidigt worden, dann kommen Zweifel auf, ob dem wirklich so war und diese Person wird dann aufgrund dessen antisemitisch beleidigt – dann ist das Antisemitismus.

Und nun heißt es: selbst schuld! Warum sagst du, deine Kette sei zu sehen, wenn deine Kette gar nicht zu sehen ist? Also ist Gil selbst daran schuld, dass man ihn jetzt im Nachhinein erst recht antisemitisch beleidigt. Man sucht sich quasi eine Legitimation für den Hass.

Man nennt das Victim Blaming oder auf Deutsch: Täter-Opfer-Umkehr. Frauen kennen das gut, durch Sätze wie: "Selbst schuld, wenn du dich so anziehst." Oder jetzt im Fall von Gil Ofarim: "Womit hast du denn gerechnet, wenn du erst das sagst und dann das?"

Schuld ist aber immer der Täter. Nie das Opfer. Nie. Nie. Und dieses Opfer, das hier gerade von abertausenden Antisemit:innen durchs Dorf getrieben wird, heißt Gil Ofarim. Weil er Jude ist. Kette hin, Kette her. Wir haben in Deutschland ein riesiges Problem mit Antisemitismus. Und das sehen wir jetzt noch deutlicher. Es ist zum Kotzen. Und noch schlimmer: Es ist eine große Gefahr für Leib und Leben eines Menschen.

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