Panorama Mehr als ein juristisches Urteil

Die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Frage, ob eine muslimische Pädagogin im Unterricht ein Kopftuch tragen darf, ist auch eine Entscheidung darüber, wie der Staat mit fremden Religionen umgeht.

Ginge es nur um eine Lehrerin, die wegen ihrer Kopfbedeckung gegen ein Bundesland prozessiert, würde sich der Fall Fereshta Ludin allenfalls auf den bunten Seiten der Zeitungen niederschlagen. Doch im langjährigen Kopftuchstreit zwischen der muslimischen Pädagogin und Baden-Württemberg bündeln sich die Probleme des Einwanderungslandes Deutschland wie in einem Brennglas. Die Frage ist: Wie reagiert der Staat auf "fremde" Religionen - mit Toleranz oder mit Anpassungsdruck?

Eine Frage der gesellschaftlichen Integration von Muslimen in Deutschland

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts ließ in der mündlichen Verhandlung am 3. Juni keinen Zweifel daran, dass er nicht nur über ein Stück Stoff entscheidet. Es gehe darum, "das Grundgesetz in die Zeit zu stellen", sagte Vizepräsident Winfried Hassemer. Denn die Verfassungsväter hätten die Probleme der Migration noch nicht gekannt. Die Grundsatzfrage sei kompliziert: "Wie viel fremde Religiosität verträgt die Gesellschaft?"

Dahinter steht letztlich die Suche nach dem besten Weg, die 3,2 Millionen Muslime in Deutschland gesellschaftlich zu integrieren. Spätestens seit den Anschlägen des 11. September 2001 - an denen maßgeblich eine islamistische Terrorzelle in Hamburg beteiligt war - weicht das naive Bild von der Multikulti-Gesellschaft einer restriktiveren Haltung. Ob es um Minarette oder Muezzin-Rufe, muslimisches "Schächten" oder Islam-Unterricht geht: Die politisch Verantwortlichen achten genauer darauf, nicht durch falsch verstandene Toleranz die Bildung einer Parallelgesellschaft zu fördern.

Kopftuch kein Zeichen der Frauendiskriminierung

Beim muslimischen Kopftuch steht außer Zweifel: Es ist mehr als Folklore. Allerdings hat die Karlsruher Verhandlung gezeigt, dass es zu einfach wäre, darin ein Symbol der Diskriminierung von Frauen im Islam zu sehen. Die 1972 in Afghanistan geborene Ludin, die seit 1987 in Deutschland lebt und seit acht Jahren einen deutschen Pass hat, verkörpert eher den Ausbruch aus dem traditionellen muslimischen Frauenbild: Sie strebt nach beruflicher Selbstverwirklichung - ohne freilich ihre Herkunft und Religion völlig unsichtbar zu machen.

Baden-Württemberg pocht auf staatliche Neutralität

Dem Land Baden-Württemberg, das der jungen Frau 1998 die Übernahme ins Lehramt verweigert hatte, sind die Beweggründe der Frau einerlei. Entscheidend ist aus Sicht des Bevollmächtigten Ferdinand Kirchhof, dass sie damit ihre Religion nach außen trägt - was ihr als Lehrerin im Unterricht verboten sei. Denn der Staat sei in religiösen Dingen zu Neutralität verpflichtet.

Wie reagieren die Kinder?

Bleiben die Kinder: Die Verhandlung kreiste auch um die Frage, wie das Kopftuch auf die Schüler wirkt - als Aufforderung zur Nachahmung, gar als Indoktrination? Die Experten mochten sich nicht zu einer eindeutigen Aussage durchringen. Zwar seien Lehrer wichtige Bezugspersonen mit hoher Autorität, doch mit zunehmendem Alter seien Kinder durchaus in der Lage, das Nebeneinander verschiedener Religionen zu begreifen.

DPA

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