Eine große britische Fernsehstation - es könnte Sky, sein, oder BBC -bekommt ein Video zugespielt, wahlweise läuft es zunächst auf Al-Dschasira. Darauf: eine Person, die Augen verbunden, in Fesseln auf dem Boden knieend. Eine vermummte Gestalt hält eine Kalaschnikow an die Schläfe der Person. Daneben eine andere, ebenso vermummte Gestalt, sie fuchtelt mit den Armen wie wild, redet ohne Unterlass - arabisch, persisch?
Jeder kennt diese Bilder, hat sie gesehen - und weiß, dass sie angesichts der Kriege im Irak und Afghanistan wiederkommen werden. Sie sind die neuen Waffen in einer neuen Welt des Krieges. Ab Mai soll Prinz Harry als Truppenführer eines Aufklärungskommandos in den Irak ziehen. Dann könnte er auf einem solchen Video zu sehen sein, mit verbundenen Augen, auf dem Boden kniend. Doch daran scheint im Vereinigten Königreich niemand auch nur denken zu wollen.
Zur Begrüßung die Ohren abschneiden
Ein Prinz zieht aus, um die Sicherheit des Königreichs in der Ferne zu verteidigen - Prinz Andrew, Duke of York, hat es im Falkland-Krieg vorgemacht. Und ist zum Helden geworden, zum Schmuck des Königshauses. Doch die Zeiten haben sich geändert: Heute kursieren in den Milizenlagern im Irak Bilder von Harry, er ist das "Ziel aller Ziele" - und in der "Green Zone" wollen sie ihn begrüßen, indem sie ihm die Ohren abschneiden.
Sicher, die Briten sorgen sich um den jüngsten Spross von Thronfolger Charles. Vor dem Hintergrund des blutigsten Monats im Irak mit elf Toten unter den britischen Soldaten beginnen sie Fragen zu stellen: Darf ihr geliebter Harry, Sohn der wunderbaren Lady Di, Bruder des noch mehr geliebten William, zu Kanonenfutter gemacht werden?
Die Milizen bilden schon Sondereinheiten
Angesichts der über 130 Geiselnahmen in den letzten vier Jahren ist jedoch die Gefahr weit höher, dass auch Harry entführt wird. Einem Zeitungsbericht zufolge haben radikale Schiiten zu diesem Zweck bereits eine Sondereinheit gebildet. "Unser Ziel ist es, Harry gefangen zu nehmen", sagte Abu Mushtaba, ein Kommandant der Mahdi-Armee, der britischen Zeitung "The Guardian". Es gebe Informanten in den britischen Stützpunkten, die der Miliz die Ankunft des Prinzen sofort melden würden.
Nicht nur die Mahdi-Armee werde versuchen, Harry als Geisel zu nehmen, sondern "alle, die die Briten und Amerikaner hassen", sagte der Kommandant. Die Entführung werde die Briten dazu zwingen, "sich vor uns hinzuknien und mit uns zu reden". Das britische Außenministerium gibt sich dennoch gelassen: Alles nur Propaganda.
"Unter keinen Umständen wird Geld gezahlt"
Wie viel bekommt man wohl für einen Prinzen - mehrere Millionen, gar Milliarden? In jedem Fall wohl eine immense Summe, für die unter Umständen der Steuerzahler aufkommen müsste. Doch das "National Audit Office", das die Haushaltsausgaben als unabhängiges Organ in Interesse des Steuerzahlers überwacht, ist, gelinde gesagt, "puzzeled". Sprecher Barry Lester spricht gegenüber stern.de von einem "hypothetischen Ereignis", das so "unwahrscheinlich sei", dass man dazu keinerlei Stellung beziehen könne.
Sogar die sonst wortgewandte Sprecherin des Außenministeriums reagiert perplex auf die Frage nach der Haltung der britischen Regierung im Falle einer Geiselnahme: "In der Vergangenheit war die Handhabe, dass die britische Regierung keinerlei Gelder an Geiselnehmer bezahlt hat", sagt sie. Und als Mitglied der königlichen Familie? Da muss Jenna Blackburn schlucken, sie stockt. "Darüber haben wir uns keine Gedanken gemacht, ich muss das überprüfen lassen." Später am Tag dann die Antwort: "Unter keinen Umständen wird Geld gezahlt, auch nicht für einen Royal."
Kriegsheld Andrew ist der nächste in der Thronfolge
Der ehemalige Verteidigungsminister Michael Portillo hingegen kritisiert, dass Harry so leichtfertig sein Leben aufs Spiel setzt. "Hätte Prinz William drei Kinder, dann wäre es etwas anderes", sagt Portillo. "Aber in der jetzigen Situation hat Harry eine wichtige Rolle." Denn da wäre ja noch etwas, neben dem Irak: Früher oder später wird ein Thron zu vergeben sein. Und auch wenn Prinz William sich nicht mit einer ähnlichen Begeisterung in die Schlacht stürzt - "you need to have a back-up", meint Portillo.
Geradezu skurril: Sollte auch Harry in der Thronfolge ausfallen, wäre der nächste in der Abfolge kein geringerer als Prinz Andrew: der Kriegsheld, der Harry so gern sein möchte.