Deutschland hat es sich zum erklärten Ziel gesetzt, die Windkraft stark auszubauen. Doch die Anlagen entstehen inzwischen vor allem in Gebieten, die aufgrund des Artenschutzes tabu sein sollten: in Wäldern oder an ihren Rändern. Warum Wind-Industrie im Wald nichts zu suchen haben sollte, erläutert der Biologe Klaus Richarz.
Herr Dr. Richarz, das Thema Windenergie im Wald rückt aktuell durch Abholzungen im Reinhardswald in Hessen in den Fokus. Sie und die Deutsche Wildtier Stiftung, in der Sie sich engagieren, lehnen Windkraftanlagen im Wald strikt ab, warum?
Erstens hat der Wald eine hohe Bedeutung für den Klimaschutz – als C02-Speicher und als Schwamm, um Feuchtigkeit im Boden zu binden, was in Dürre-Zeiten wichtig ist. Beim Reinhardswald lautete ein Argument der Windkraft-Befürworter, dass dort der Wald ohnehin teils aus minderwertigen Fichten und Lärchen besteht oder geschädigt ist. Doch das greift zu kurz. Würde man die richtigen Bäume pflanzen, wäre ein solcher Wald langfristig klimaresistent.
Und zweitens ist der Wald enorm wichtig für den Artenschutz. Dabei spielen unter anderem die Baumarten, ihr Alter und deren Zusammensetzung eine Rolle. Wenn wir wie bei einem Schweizer Käse Löcher reißen, wird dieses Ökosystem geschädigt oder zerstört.
Was sind die Folgen für die Tierarten, wenn man Flächen im Wald rodet und dort Windräder baut?
Es bedeutet, dass klassische Tierarten des Waldes mit Sicherheit zu den Verlierern gehören. Sie werden entweder getötet, schwer verletzt oder ihr Lebensraum wird zerschnitten oder vernichtet.
Kritiker wie Sie beklagen, dass seit 2015 in Deutschland vermehrt Windkraftanlagen im oder am Wald gebaut werden – obwohl Experten aus Naturschutz-Gründen davor warnen. Warum wird so wenig auf diese Fachleute gehört?
Dies geschieht aus gesellschaftspolitischen Gründen: Jeder möchte saubere Energie, aber keiner will die Windräder vor der Haustür haben. Man geht also von den Siedlungen weg und rückt in Gebiete vor, die bewaldet sind, zum Beispiel auch auf Mittelgebirgs-Kämme. Problematisch für viele Vogelarten sind aber auch die Anlagen in Norddeutschland auf Äckern und Wiesen.
Hinzu kommt, dass Anlagen der neueren Generation sehr hoch sind und sehr große Rotoren haben. Früher konnte man Windkraftanlagen nicht im Wald etablieren, sie waren zu niedrig. Heute sind die Anlagen bis zu 241 Meter hoch und kommen näher an die Baumwipfel heran. Dadurch wird der Luftraum über dem Wald zugestellt.
Welche Auswirkungen hat das? Und welche Arten leiden besonders?
Vögel werden nicht nur erschlagen. Windkraftanlagen greifen auch massiv in ihr Verhalten ein. Beispielsweise der Rotmilan oder der Schwarzstorch nutzen den Luftraum über dem Wald zur Balz oder zur Revier-Abgrenzung.
Neue Untersuchungen belegen auch Folgen für Vogelarten, an die man im ersten Moment nicht denkt: Beispielsweise wurde nachgewiesen, dass in Gebieten mit Windrädern die Zahl der Spechte um die Hälfte sinkt.
Gravierend sind die Folgen für Fledermäuse, was inzwischen gut dokumentiert ist. Alle 25 Fledermaus-Arten sind hierzulande besonders geschützt. Sie nutzen den Wald nicht nur zum Jagen. Die Bechsteinfledermaus beispielsweise benötigt einen ganzen Quartier-Komplex mit vielen Höhlen, um zu überleben und sich fortzupflanzen. Werden Bäume gefällt, wird ihr Lebensraum zerstört oder zumindest geschädigt. Ähnlich geht es der Mopsfledermaus, die anstelle von Baumhöhlen hinter abstehender Rinde an alten Bäumen ihre Quartiere bezieht.
Stichwort Fledermäuse: Es gibt ein ganz seltsames Phänomen an Windkraftanlagen: An ihnen sammeln sich Insekten, was wiederum Fledermäuse anlockt, die dann dort zu Tode kommen. Bitte erklären Sie das.
Insekten lieben es warm, sie werden von den Windkraftanlagen angelockt, denn dort gibt es Reibungswärme. Die Insekten steigen dann entlang der Türme auf – und werden dort von Fledermäusen gejagt. Vor allem Zwergfledermäuse werden bei der Jagd auf diese Weise von Windrädern angelockt und erschlagen.
Ein Argument der Befürworter von Windkraftanlagen im oder am Wald ist auch, es spiele keine Rolle, wenn einzelne Tiere sterben, solange man den gesamt-Bestand nicht gefährdet.
Ein solches Argument ist rechtlich fragwürdig. Man weicht hier vom Individualschutz ab, obwohl die nationale und auch die internationale Gesetzgebung auf dem individuellen Schutz fußt, also dem Schutz des einzelnen Tiers. Es ist auch gar nicht möglich, beides zu trennen. Denn es gibt keinen Nachweis dafür, dass es nicht doch auf den Bestand Auswirkungen hat, wenn man einzelne Individuen tötet.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Wie groß die Auswirkungen sind, zeigt ein aktuelles Papier des Bundesverbandes für Fledermauskunde. Unter einer Population versteht man die Individuen einer Art, die sich zur Fortpflanzung – zumindest theoretisch – treffen können. Bei Arten wie dem Großen Abendsegler, die besonders häufig von Windkraftanlagen erschlagen werden, hat man Einbrüche bei der Population festgestellt. Diese Fledermäuse ziehen auf ihrem Weg von den Fortpflanzungs- bis zu den Winterquartieren von Nord- und Osteuropa nach und durch Deutschland bis in die Schweizer Region. Inzwischen aber kommen deutlich weniger Große Abendsegler durch Deutschland.
Und Fledermäuse werden ja nicht nur von Windrädern erschlagen. Durch die Luftdruck-Unterschiede zerreißt es ihnen die inneren Organe, oder die Blutgefäße platzen. Außerdem haben diese Tiere ein sehr sensibles Gehör, sie jagen ihre Beute mit Ultraschall. Wird ihr Gehör zerstört, können sie sich nicht mehr orientieren oder ernähren.
Obwohl alle diese Folgen für Fledermäuse und Vögel im Wald bekannt sind, werden Projekte wie der Windpark im Reinhardswald genehmigt. Wie passt das zusammen?
Ich habe große Bedenken, ob solche Genehmigungen rechtskonform sind. Es wird ja auch dagegen geklagt. Man muss sich auch die Frage stellen, ob vorher die entsprechenden Kartierungen korrekt vorgenommen wurden, ob man also alle Kollisions-sensiblen Arten erfasst hat, die dort vorkommen. Ich habe da so meine Zweifel.
Können moderne Windkraftanlagen nicht auch abgeschaltet werden, wenn bestimmte Arten vorbeifliegen, so dass Zusammenstöße vermieden werden?
Von Seiten der Windkraft-Betreiber wird immer so getan, als seien Abschalt-Algorithmen Standard, in der Praxis ist das aber nicht so. Nach Zahlen von 2019 laufen 75 Prozent aller Anlagen ohne Abschalt-Einrichtungen – das sind 22.500 Windräder. Rechnet man hoch, dass pro Anlage im Jahr zehn Fledermäuse getötet werden, kommt man auf jährlich 225.000 tote Fledermäuse. Man könnte diese Anlagen nachrüsten, es wird aber nicht gemacht.
Geht es der Politik also nur noch um den – globalen – Klimaschutz?
Traditionell ging es einer Partei wie den Grünen immer stark um den Natur- und Artenschutz. Doch schaut man aktuell genauer hin, ist dem leider nicht mehr so. Da steht der Klimaschutz ganz oben. Nicht umsonst hat er auch jetzt unser neuer Bundeswirtschaftsminister und Klima-Minister Robert Habeck beziehungsweise einer seiner Staatssekretäre gefordert, dass der Artenschutz hinter den Klimaschutz zurücktreten müsse.
Das klassische Totschlag-Argument ist, wenn sich das Klima verändere, dann verschwinden ohnehin alle Arten. Deswegen müssen wir gucken, dass wir unser Klima retten, dann retten wir auch die Arten. Dem ist aber längst nicht so, sondern also beides muss gleichberechtigt behandelt werden.
Sehen Sie in Deutschland die Artenvielfalt in Gefahr durch den Ausbau der Windkraft?
Nach der aktuellen Lage leider ja. Es ist richtig, dass wir von fossilen Energieträgern wegkommen müssen. Aber wir dürfen die Arten dafür nicht leichtfertig opfern. Und wir dürfen bei der Energiewende nicht so sehr in Boxen denken und sollten auch die Solarenergie stärker einbeziehen. In Bayern beispielsweise hat man die Sonnenergie in den letzten Jahren stark vorangetrieben, das ist sehr positiv.