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Emanzitiert – Gastkommentar Gustav Kuhn und das unerschütterliche Machtbewusstsein der Verbündeten

Gustav Kuhn, ehemaliger Chef der Tiroler Festspiele Erl
Gustav Kuhn, Dirigent, ehemaliger Chef der Tiroler Festspiele Erl. Dem Dirigenten werden unter anderem Mobbing und sexuelle Belästigung vorgeworfen
© Johann Groder/EXPA/apa / DPA
Der Gründer eines der wichtigsten Musikfestivals für Wagner-Fans tritt wegen anhaltender Vorwürfe der sexuellen Belästigung und des Mobbings zurück. Ein Erfolg für #metoo? Nur auf den ersten Blick … Ein "Emanzitiert"-Gastkommentar von Nicole Schöndorfer.

Anmerkung der Redaktion: Normalerweise lesen Sie an dieser Stelle die Texte von stern-Stimme Sylvia Margret Steinitz. Ab sofort lädt Steinitz in regelmäßigen Abständen Gastkommentator/inn/en ein, um weiteren feministischen Stimmen Gehör zu verschaffen. Den Auftakt macht die freie Journalistin und Aktivistin Nicole Schöndorfer aus Wien.

Die sexuellen Übergriffe? Erfunden. Die Frauen seien bloß gekränkt, weil sie eine Rolle nicht bekommen hätten. Die verbalen Attacken? Gerechtfertigt, weil das Orchester falsch gespielt hätte. Das Abtun von Belästigung als Missverständnis, schamlose Täter-Opfer-Umkehr und kein Schuldbewusstsein – vorgetragen mit einer gönnerhaften Selbstverständlichkeit, wie sie nur ein Mann an den Tag legen kann, der es gewöhnt ist, mit seinem Verhalten durchzukommen. Ein Mann, der noch nie Konsequenzen tragen musste. Der Auftritt von Gustav Kuhn am 22. Oktober in der ZIB2, der wichtigsten Nachrichtensendung im österreichischen Fernsehen, war eine beispielhafte Darbietung hegemonialer Männlichkeit.

Worum ging es da? Gustav Kuhn war 20 Jahre lang der künstlerische Leiter der von ihm gegründeten Tiroler Festspiele Erl. In der Toskana leitet er zudem eine Akademie für junge Künstler*innen, die in weiterer Folge in seinen Produktionen mitwirken sollten. Kuhn ist ein mächtiger Mann. Der 73-Jährige hat zahlreiche internationale Orchester dirigiert, Festivals und Opernhäuser sowie 30 Jahre lang den Gesangswettbewerb "Neue Stimmen" der Bertelsmann-Stiftung musikalisch geleitet. Er konnte Karrieren ins Rollen bringen und er konnte sie beenden. Beides tat er.

Ein mächtiger Mann hinter einem mächtigen Mann

Nicole Schöndorfer

Nicole Schöndorfer ist freie Journalistin und Aktivistin in Wien. Ihre Beiträge erschienen u.a. in "VICE", "an.schläge" und "Falter". Sie twittert unter @nicole_schoen

Unterstützt wurde er vom Festspielpräsidenten und Hauptsponsor Hans-Peter Haselsteiner - einem weiteren mächtigen Mann, der in Österreich als politisch relevanter Player gilt. Haselsteiner ist ein Industrieller und Investor sowie ehemaliger Politiker beim Liberalen Forum (LIF). Er unterstützte die liberale Partei NEOS mit Spenden und führte während des Bundespräsidentschaftswahlkampfes 2016 eine groß angelegte Medienkampagne gegen den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer an. Sein Wort hat (finanzielles) Gewicht. Im Fall Kuhn hat er nun vermutlich die Notbremse gezogen, nachdem er noch bei der Eröffnungsrede der Festspiele im Sommer "Ehrabschneidung und Verleumdung" kritisiert und Kuhns Vorlieben – "Wein, Weib und Gesang" – heiter betonte. 

Abhängigkeiten schaffen, um diese auszunutzen?

Nach seinem fast grotesken Auftritt im Fernsehen legte Gustav Kuhn dann plötzlich alle seine Funktionen zurück. Offensichtlich nicht aus Reue oder gar Respekt gegenüber seinen ehemaligen Mitarbeiter*innen, sondern weil das Image der renommierten Festspiele unter den Negativschlagzeilen zu leiden begann. Aus genau diesem Grund war er bereits Ende Juli beurlaubt worden. Schließlich stehen auch finanzielle Unregelmäßigkeiten im Raum. Man denke nur an den wirtschaftlichen Schaden für das Festival. Jener an den Mitarbeiter*innen scheint egal zu sein. Für Kuhn gilt die Unschuldsvermutung.  

Erste anonyme Anschuldigungen gegen ihn wurden bereits im Februar enthüllt, nach Ende der diesjährigen Festspiele wandten sich fünf Künstlerinnen in einem offenen Brief mit Namen an die Öffentlichkeit, im Herbst folgten sieben Künstler und ehemalige Mitarbeiter mit einer Solidaritätsbekundung und weiteren Details über das autoritäre Regime des "Erlkönigs", wie Kuhn sich gerne selbst nannte. Es geht um den Vorwurf sexueller Belästigung, andauernder psychischer und verbaler Gewalt. Es geht darum, dass jenen Künstlerinnen, die sich seinem sexuellen Bedrängen fügten, die Weltbühne versprochen worden sein soll – und jene, die sich wehrten, von heute auf morgen nach Hause geschickt oder bis zur freiwilligen Abreise gedemütigt worden sein sollen. Ein klassisches System von Machtmissbrauch – wer mitspielt, wird mit Rollen und Verträgen belohnt, wer den Regeln des "Maestro" nicht folgt, hinausgemobbt? Es sollen Abhängigkeiten geschaffen und ausgenutzt worden sein, die prekären Arbeitsbedingungen im Kulturbereich könnten dafür den Nährboden geboten haben.

Komplizenschaft im Patriarchat

Es scheint nun, als wäre Kuhn mehr und mehr zum finanziellen Risiko für das Festival geworden. Sein Nachfolger wird Bernd Loebe, Leiter der Oper Frankfurt, wie der Festspielpräsident Haselsteiner am 24. Oktober bei einer Pressekonferenz verkündete. Er betonte auch nachdrücklich, dass die Suche nach einem neuen Intendanten bereits vor Aufkommen der Vorwürfe begonnen hatte. Gut, dass er das hervorhebt, sonst hätte noch der Eindruck entstehen können, dass den Frauen und Männern am Ende doch noch Glauben geschenkt wurde. So funktioniert Komplizenschaft im Patriarchat aber nicht.

Man kann also feiern, dass Kuhn weg ist, aber nicht, dass er durch die öffentlichen Auftritte seiner mutmaßlichen Opfer in die Knie gezwungen wurde. Er hat alle Vorwürfe lächerlich gemacht. Sein Gönner Haselsteiner tut nicht einmal so, als hätten die Anschuldigungen etwas mit seiner Entscheidung zu tun. Das sollte man sich merken. Und man sollte beobachten, wo Kuhn in den nächsten Monaten auftaucht. So funktioniert Komplizenschaft im Patriarchat. 

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