TV-Schwindel Organspende-Show mit Paukenschlag

Von Albert Eikenaar, Amsterdam
Das Ende kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Es war gestern Abend um Punkt 21.44 Uhr, als die 37-jährige niederländische Lisa mit Tränen in den Augen bekannt geben sollte, wer von ihr eine Niere bekommen würde. In diesem Moment enthüllte Moderator Patrick Lodiers die Inszenierung.

Drei schwerkranke Nierenpatienten hatten sich in einer weltweit umstrittenen Fernsehshow darum beworben und in der Live-Sendung überzeugend, rührend, ja herzzerreißend erzählt, wie lebensnotwendig eine Transplantation für sie sei. "Es geht ums Überleben". Die 37-jährige niederländische Lisa sollte mit Tränen in den Augen bekannt geben, wer von ihr eine Niere bekommen würde.

Es folgte ein Paukenschlag

Nur einer der drei Bewerber konnte Lisa's Spendeorgan erhalten. Genau in dem Augenblick, als sie enthüllen wollte, wer das sein würde, griff Moderator Patrick Lodiers überraschend ein. "Stopp", rief er. "Moment bitte". Die Zuschauer reagierten total verblüfft. Sie verstanden das Eingreifen beim spannungsgeladenen Höhepunkt nicht. Das gedämpfte Licht wurde grell. Nach ein paar Sekunden sprach der Moderator weiter. Mit einem Paukenschlag lüftete er das bis dahin gut gehütete große Geheimnis. "Diese Show ist nepp", sagte er. "Wir verschenken keine Niere. Sogar wir trauten uns nicht, die Sendung so durchzuführen, wie wir angekündigt hatten. Lisa ist die Schauspielerin Leonor. Aber die drei Nierenpatienten sind echt. Sie haben in unsem Komplott mitgemacht. Für die gute Sache spielten sie mit".

Die gute Sache war, die Niederländer aufzurütteln, klar zu machen, dass es viel zu wenig Spendenieren gibt. Jährlich sterben 200 Menschen an ihrem Leiden, trotz regelmäßiger Dialyse. Im Durchschnitt warten 1500 niederländische Nierenkranke viereinhalb Jahre auf eine rettende Operation. Ein negativer Rekord in Europa. "In einem zivilisierten Land darf so etwas nicht wahr sein”, so Lodiers. "Es ist jedoch knallharte Realität".

Wütend über den "Schwindel"

Der Jugendsender BNN, der das Programm entwickelte, wollte den Nierenmangel auch realistisch anprangern – und wählte "ein Format", das die Welt erschütterte. Eine angeblich krebskranke junge Frau würde in einem Wettbewerb, einer Art Gefühlsquiz, eine ihrer Nieren einem der drei Teilnehmer spenden. Nach diesem Konzept wurde die große Spendershow gestern Abend gesendet - bis Lodiers eingriff und erläuterte, dass für den guten Zweck alles eine abgekartete Sache gewesen war. 85 Kamerateams aus aller Welt waren angereist, hunderte Journalisten von Presseagenturen, Zeitungen und Magazinen. BNN erwischte diese Woche alle auf dem falschen Fuß. Der Sender ist in den Niederlanden dafür berüchtigt, dass er Tabu-Themen auf oft witzige, brutale und freche Art präsentiert und von gesellschaftlichen Problemen gern die andere Seite beleuchtet. Diesmal ging die Redaktion dabei sehr weit.

Das Ziel war: soviel Publizität wie möglich für das Nierendefizit zu generieren. Die internationale Journalistenschar im Studio musste die aktuelle Berichterstattung schnell anpassen an die dramatische Wende. Einige waren wütend über den "Schwindel", andere enttäuscht, aber die meisten konnten BNN’s "Humor" verstehen, vor allem, weil der Husarenstreich dem Gründer des Senders gewidmet war, dem nierenkranken Bart de Graaff, der genau vor fünf Jahren an seiner Krankheit starb. Der damals 35-jähirgen Senderchef war ein Meister des kontroversiellen Fernsehens. Er liebte Practical Jokes, Unfug und Scherz, immer mit einer ernsthaften Fußnote. Oft hat er Millionen Niederländer auf den Arm genommen. Sein Nachfolger Laurens Drillich wollte die Show zum Andenken an Bart in BNN-Tradition fortsetzen. Von vornherein erklärte er immer, dass man über den Inhalt erst hinterher urteilen solle, statt große Sprüche der Kritik zu klopfen und Abscheu zu zeigen, nur an Hand von unvollständigen Info’s. Gestern Abend bekam Drillich seine Revanche. Und wie!

Lob für "fantastisches" Engagement

Viele Gegner gingen gegen BNN oder sogar die Niederlande zu unrecht auf die Barrikaden, stellte sich nun heraus. Der Sender hatte kein Mitleid mit den Reportern, die sich durch den Schwindel an der Nase herumgeführt fühlten, auch nicht, wenn sie vergebens lange Anreisen gemacht hatten. Medienminister Plasterk lobte BNN für sein "fantastisches" Engagement. Vor der Sendung hatte er die Programmmacher im Parlament noch zynisch gerügt. Die Volkskrant lobte die TV-Inszenierung von BNN in zwei Worten: historisches Fernsehen.

Als um 21.55 Uhr die großen Studiolampen ausgingen und die Titelrolle der Mitarbeiter über den Schirm lief, hatte sich nach nur 10 Minuten die Welt für niederländische Nierenkranke total geändert. Tausende Zuschauer ließen sich von der problematischen Situation beeinflussen. Sie meldeten sich ganz im Sinne BNN’s als Spender. Wer bis zur letzen Minute zuschaute, hörte im Hintergrund ein gemeines Lachen. Es war unverkennbar die hohe Sopranstimme von Bart de Graaff.

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