Enrique Tarrio, der Anführer der rechtsextremen Gruppe Proud Boys arbeitete laut Medienberichten mehrfach mit lokalen und Bundesstrafverfolgungsbehörden zusammen. Als FBI- und Polizei-Informant soll der 36-Jährige vor fast zehn Jahren zur Anklage von 13 Menschen beigetragen haben. Die nationalistischen Proud Boys stehen wegen ihrer Rolle beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar zunehmend unter Beobachtung.
Dass Tarrio mehrfach intensiv mit den Behörden kooperierte, geht laut Informationen der Nachrichtenagentur "Reuters" aus Gerichtsakten und Aussagen einer ehemaligen Staatsanwältin hervor. "Herr Tarrio war ein Kooperateur – wie viele, die Informationen liefern und dadurch versuchen, wesentliche Unterstützung zu erhalten", habe Vanessa S. Johannes, frühere Staatsanwältin in einer E-Mail an erklärt.
Einem Gerichtsprotokoll aus dem Jahr 2014 ließe sich entnehmen, dass Tarrio im Gegenzug für eine Strafminderung der Polizei in seinem Heimatstaat Florida bei der Verfolgung krimineller Unternehmungen geholfen habe. Dazu gehörten illegales Glückspiel, Menschenhandel, ein Marihuana-Labor und ein Schmugglerring, der anabole Steroide vertrieben habe.
Anfragen der "New York Times" und der "Washington Post" habe Tarrio unbeantwortet gelassen. Gegenüber "Reuters" habe er jedoch bestritten, jemals undercover gearbeitet oder in Fällen gegen andere kooperiert zu haben: "Ich weiß nichts davon", habe er gesagt. "Ich kann mich an nichts davon erinnern."
Kooperation in "signifikanter Weise"
Berichten zufolge reicht die kriminelle Vergangenheit des bekannten Nationalisten mindestens bis ins Jahr 2004 zurück, als Tarrio für den Diebstahl eines 50.000 Dollar teuren Motorrads verurteilt worden sei. Ausgangspunkt für seine angebliche Kooperation mit den Behörden sei jedoch ein Betrugsfall gewesen, in den der heute 36-Jährige 2012 in Miami verwickeln gewesen sei. Damals habe er sich wegen des Verkaufs von Diabetes-Testkits, die Mitangeklagte aus einem Lastwagen gestohlen hätten, vor Gericht verantworten müssen. Dafür sei er zu einer Haftstrafe von 30 Monaten verurteilt worden. "Er war so etwas wie die Marketing-Person", habe sein Anwalt Jeffrey Feiler damals laut "New York Times" Tarrios Rolle beschrieben.
Zwei Jahre später, im Juli 2014, habe Feiler beim Bundesrichter um eine Haftreduzierung für seinen Mandanten gebeten. Schließlich habe dieser in zwei Bundesfällen in "signifikanter Weise" kooperiert, was zur Strafverfolgung von 13 Personen geführt habe.
"Vom ersten Tag an war er derjenige, der mit den Strafverfolgungsbehörden reden wollte", zitiert die "Washington Post" einen Staatsanwalt bei der Anhörung. Außerdem habe sich Tarrio bei der verdeckten Arbeit für die Polizei Miami teilweise selbst in Gefahr gebracht. Die zuständige Richterin entschied zugunsten Tarrios: Seine Haftstrafe sei fast um die Hälfte reduziert worden. In seinen über 30 Jahren als Anwalt habe Feiler noch keinen Klienten gehabt, der so produktiv kooperiert habe.
Proud Boys: Ehemalige Trump-Unterstützer und "westliche Chauvinisten"
Tarrio steht inmitten der FBI-Untersuchung zum Sturm auf das US-Kapitol Anfang Januar. In diesem Zusammenhang seien bisher mehr als 150 Menschen verhaftet worden – darunter auch sechs Mitglieder der Proud Boys.
Die Mitglieder der 2016 gegründeten, teils schwer bewaffneten Gruppierung bezeichnen sich als "westliche Chauvinisten" und haben sich in den letzten Jahren als lautstarke – oft gewalttätige – Unterstützer von Ex-Präsident Donald Trump einen Namen gemacht. Vor kurzem hatte sich die Gruppe jedoch öffentlich von Trump distanziert: Dessen Bereitschaft das Weiße Haus zu verlassen werteten die Nationalisten als "Verrat".
Tarrio selbst, der seit 2018 an der Spitze der Gruppierung steht, wurde bereits zwei Tage vor dem historischen Ansturm, der vielfach als "Anschlag auf die Demokratie" betitelt wurde, verhaftet. Er sei wegen des Besitzes zweier Schusswaffenmagazine mit hoher Kapazität, sowie wegen der Verbrennung eines "Black Lives Matter"-Plakats einer afroamerikanischen Kirche in Washington angeklagt. Es gebe keine Hinweise darauf, dass Tarrio in letzter Zeit erneut mit den Behörden kooperiert habe.
Reaktion auf Telegram: "Sie versuchen wieder, mich zu dämonisieren"
Inzwischen hat sich Tarrio auf dem Nachrichtendienst Telegram zu dem Thema geäußert. Darin bestätigt er zwar, dass er selbst und die Mitangeklagten im Fall des Betrugsprozesses mit den Strafverfolgern kooperiert haben. Alles Weitere sei von den Medien übertrieben worden, um Leser anzulocken. "Sie versuchen wieder, mich zu dämonisieren", schreibt er. "Es gab keine Geheimnisse unter Freunden", heißt es weiter. Außerdem betont er den "Kampf" seiner Proud Boys gegen die "Fake News Media", "Antifa-Terroristen" und die "Black Lives Matter"-Bewegung.
Ganz ähnlich sehen es laut einem Bericht von "Vice" seine Anhänger. Viele meinen in der Berichterstattung eine Verleumdungskampagne der "Fake News" zu erkennen. "Enrique hat meine Unterstützung als Anführer der Proud Boys – Punkt!", zitiert das Magazin einen Unterstützer. "Sie versuchen, die Proud Boys zu Fall zu bringen – unser Leuchtfeuer des Lichts – wir werden das nicht zulassen, also keine Sorge", habe ein anderer Proud Boys-Fan auf Telegram geschrieben.
Quellen: "Reuters"; "New York Times"; "Washington Post"; "NBC News"; "Vice"; Telegramkanal Enrique Tarrio