Die Fünfzehnjährige, die verdächtigt wird, am Mittwochabend in Detmold ihren dreijährigen Halbbruder erstochen zu haben, kommt in Untersuchungshaft. Das entschied ein Richter, nachdem die Staatsanwaltschaft Haftbefehl wegen Mordes gegen die Jugendliche beantragt hat. Sie habe die Tat ausdrücklich nicht bestritten, erklärte die Polizei nach den Vernehmungen, berufe sich aber auf Erinnerungslücken.
Die Schülerin soll den Jungen in einer Wohnung mit einem Messer angegriffen haben, er starb an "multiplen Stichverletzungen", so der vorläufige Obduktionsbericht. Als Motiv für die Tat nehmen die Ermittler ein "schwieriges familiäres Umfeld" und "eine tiefe Abneigung gegen den Halbbruder" an.
Verdächtige aus Detmold in Lemgo festgenommen
Nach rund zwölfstündiger Flucht war die 15-Jährige am Donnerstag im rund zehn Kilometer von Detmold entfernten Lemgo von einem Passanten erkannt und von Polizisten festgenommen.
Minderjährige Tatverdächtige sind bei Tötungsdelikten (Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen) in Deutschland eine große Ausnahme. Das zeigt der Blick in die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik des Bundesinnenministeriums. Von insgesamt 2823 Verdächtigen waren im vergangenen Jahr 173 jünger als 18 Jahre alt (rund sechs Prozent), 13 davon waren Kinder unter 14 Jahren. Die Zahl war in den vergangenen Jahren schwankend, bewegte sich aber stets auf niedrigem Niveau. Ein Trend ist aus der Statistik nicht abzuleiten.
Jahr | Tat-verdächtige gesamt | Tat-verdächtige unter 18 Jahren | Anteil in Prozent | nur tat-verdächtige Kinder unter 14 Jahren |
2018 | 2823 | 173 | 6,13 | 13 |
2017 | 2698 | 200 | 7,41 | 14 |
2016 | 2775 | 142 | 5,12 | 10 |
2015 | 2492 | 136 | 5,46 | 7 |
2014 | 2714 | 125 | 4,61 | 8 |
2013 | 2617 | 152 | 5,81 | 12 |
2012 | 2565 | 151 | 5,89 | 4 |
Quelle: Polizeiliche Kriminalitätsstatistiken 2012 bis 2018
Jugendliche oder gar Kinder, die zu Mördern werde, rufen oftmals ein großes öffentliches Echo hervor. Fälle aus der jüngeren Vergangenheit zeigen das:
- Im vergangenen Jahr gestand ein Zehnjähriger in Berlin einen Holzklotz aus einem 15-stöckigen Hochhaus geworfen zu haben, der einen Achtjährigen erschlug. Die Polizei ermittelte wegen des vorsätzlichen Tötungsdelikts. (Lesen Sie hier mehr zu dem Fall.)
- Ebenfalls 2018 tötete ein 15-Jähriger in der Hauptstadt eine 14 Jahre alte Mitschülerin mit 23 Messerstichen. Er wurde wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von neun Jahren verurteilt. (Lesen Sie hier mehr zu dem Fall.)
- Am Ortsrand der Kleinstadt Bad Schmiedeberg in Sachsen-Anhalt erschlug 2016 ein 13-Jähriger einen gleichaltrigen Freund mit einem Stein. (Lesen Sie hier mehr zu dem Fall.)
- Im Landkreis Demmin (Mecklenburg-Vorpommern) erschoss ein 14-Jähriger im September 2001 im Wohnhaus der Familie seine Mutter und die siebenjährige Halbschwester – er wurde zu acht Jahren Haft verurteilt.
Diese und vergleichbare Fälle eint, dass die minderjährigen Täter von der Justiz anders behandelt werden als volljährige. Wer zum Tatzeitpunkt noch keine 14 ist, wird grundsätzlich nicht vor Gericht gestellt oder ins Gefängnis gesteckt. Kinder sind laut Strafgesetzbuch nicht schuldfähig.
"Es wird dann zwar ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, da die Polizei grundsätzlich einen Sachverhalt aufklären und ermitteln muss", sagte Rechtsanwalt Tommy Kujus nach dem Berliner Holzklotzfall dem stern. "Das Verfahren wird dann aber zwangsweise durch die Staatsanwaltschaft eingestellt, da keine strafbare Handlung vorliegt. Dabei ist es auch unerheblich, um was für eine Straftat es sich handelt oder ob das Kind planmäßig oder besonders brutal vorgegangen ist."
Allenfalls könnte in die Erziehung eingegriffen werden: "Die Maßnahmen, die das Familiengericht ergreifen kann, reichen von der Anordnung, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen oder die Einhaltung der Schulpflicht zu gewährleisten, bis hin zur Entziehung der elterlichen Sorge", ergänzte Kujus seinerzeit.
Höchststrafe im Jugendstrafrecht beträgt zehn Jahre
Anders sieht es aus bei jugendlichen Tatverdächtigen ab 14 Jahren, wie im aktuellen Detmolder Fall. Sie erwartet ein Verfahren vor dem Jugendgericht. Dessen Urteile dienen nicht in erster Linie der Bestrafung, sondern der Erziehung. "Die Anwendung des Jugendstrafrechts soll vor allem erneuten Straftaten eines Jugendlichen oder Heranwachsenden entgegenwirken", heißt es im Jugendgerichtsgesetz. "Sie ist 15. Und für Jugendliche im Strafverfahren – egal, was sie gemacht haben – gilt ein besonderer Schutz", betonte der Sprecher der Detmolder Staatsanwaltschaft, Christopher Imig, mit Blick auf die mutmaßliche Täterin. Die Höchststrafe für Mord im Jugendstrafrecht beträgt zehn Jahre.
Das Jugendstrafrecht wird auch bei Erwachsenen unter 21 Jahren angewendet, wenn sie zum Tatzeitpunkt ihrer "sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen" gleichstehen, so das Gesetz.
Die Diskussion um Absenkung der Strafmündigkeit von 14 auf beispielsweise zwölf Jahre flammt immer wieder auf. Im Juli stritten Polizeigewerkschafter Rainer Wendt und Jugendrichter Andreas Müller in der DISKUTHEK, dem Debattenformat des stern, über das Thema:
Wendt hatte darin seine Forderung nach einer Herabsetzung der Strafmündigkeit zumindest bei schweren Straftaten erneuert, während Müller die vorhandene Regelung beibehalten will: "Ich habe 14-jährige Pausbacken vor mir stehen, da weiß ich, die kriegen kaum mit, was im Saal passiert. Und dann soll ich Zwölfjährige verurteilen?"
Quellen: Bundeskriminalamt, Strafgesetzbuch, Jugendgerichtsgesetz, Polizeipräsidium Bielefeld, Nachrichtenagentur DPA