Wenche Elisabeth Arntzen ist eine resolute Frau, eine Richterin mit jahrzehntelanger Erfahrung. Mit freundlicher Strenge hat sie die ersten drei Wochen des Breivik-Prozesses im Zeitplan gehalten. Ihre Miene blieb zumeist unerschüttert. Nur ab und an formten sich ihre Augen zu Schlitzen, die den Angeklagten fast schon böse musterten. Am Montag aber verlor die 52-Jährige die Beherrschung - und musste Tränen trocknen.
Die vierte Prozesswoche begann mit der Schilderung des Tods von 14 Jugendlichen, die von Breivik vor oder in den Räumen des "Kafébygget", des Cafégebäudes, auf Utøya ermordet wurden. Laut den Schilderungen des Gerichtsmediziners Torleiv Ole Rognum waren es regelrechte Hinrichtungen. Das Café war das erste Gebäude, das Breivik auf der Insel betrat.
Keine blutigen Details
Das Gericht verzichtet weiterhin darauf, Bilder der Leichen zu zeigen. Aber die Bilder aus dem Inneren des Holzhauses mit den Blutspritzern an den Wänden und auf dem Boden reichten aus, um eine Vorstellung vom Ablauf des Massakers zu bekommen. Die Jugendlichen hatten versucht, Schutz hinter den Lautsprechern oder dem Klavier zu finden. Als Kontrast dazu wurden Fotos von den ermordeten Jugendlichen gezeigt, während die Anwälte der Hinterbliebenen einige Sätze über deren Leben vorlasen.
Es sind liebevolle Zeilen, die die Eltern ihren toten Kindern widmen. "Seine stärkste Tugend war seine Hingabe für andere, für seine Schwester, Freunde und Kollegen", wird Gunnar Linaker beschrieben. Der 23-Jährige war zusammen mit seiner kleinen Schwestern im Sommerlager der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF. Als Breivik mit seinem Massaker begann, waren beide auf dem Zeltplatz. Gunnar umarmte sie ein letztes Mal, sagte ihr, sie solle laufen und sich verstecken - dann wurde er von Breivik angeschossen. Linaker erlag am Tag nach dem Anschlag seinen schweren Verletzungen.
Richterin lockert die Prozessordnung
Auch Sondre Kjøren wurde im Café erschossen. "Sondre kam nicht mehr nach Hause. Ein großartiger Mensch hat uns verlassen. Aber wir werden uns immer an die warmen, braunen Augen erinnern und das niedliche Grinsen." Eins der jüngsten Opfer war Eivind Hovden. Die Eltern des 15-Jährigen lassen ihren Anwalt vorlesen: "Unser lieber Junge wurde uns genommen, aber die Erinnerungen an ihn werden für immer bewahren." Von den Fernsehschirmen im Saal strahlt ein Junge die Prozessbeobachter an. Nicht zu übersehen seine Zahnspange. Die sanften, liebevollen Worte der Eltern stehen im starken Kontrast zu den technischen, nüchternen Ausführungen des Gerichtsmediziners Rognum und den ermittelnden Polizeibeamten. Sie erklären an Hand einer Puppe, wo die Jugendlichen von Breiviks Kugeln getroffen wurden, zeigen auf einem Grundriss des Gebäudes, wo die Jugendlichen gefunden wurden.
Richterin Arntzen betont mehrfach, dass entgegen der Prozessordnung die Zuhörer jederzeit den Saal verlassen dürfen. Einige nehmen dieses Zugeständnis dankbar an, verlassen mit verweinten Augen den Saal. Breivik lauscht den Schilderungen mit unbewegter Miene. Er könne sich nicht an die Details erinnern, hatte er bei seiner Befragung in der ersten Woche gesagt.
In den kommenden Tagen werden Breiviks Opfer einzeln im Gericht behandelt werden. "Wir befanden uns in einem Dilemma, wie man die Toten behandelt", sagt Staatsanwältin Inga Bejer Engh. "Dass sie exekutiert wurden, ist ein nicht zu bestreitender Fakt. Daher haben wir uns entschieden, so wenig Details wie möglich zu zeigen." Aber auch diese paar Details reichen, um zu erschüttern.