Disco-Mord am Chiemsee "Zeit so intensiv und gewaltig schön": Familie nimmt Abschied von getöteter Hanna – Mörder weiter nicht gefasst

Die 23-jährige Hanna aus Aschau am Chiemsee auf einem von der Polizei nach dem Disco-Mord veröffentlichten Foto
Die 23-jährige Hanna W. aus Aschau wurde nach dem Besuch einer Disco in der Nähe des Chiemsees getötet. Die Polizei hat den Täter noch nicht gefasst.
© Norbert Neetz / Imagebroker / Picture Alliance, Polizeipräsidium Oberbayern Süd
Mit einer bewegenden Traueranzeige nehmen die Hinterbliebenen der nach einem Disco-Besuch am Chiemsee getöteten Hanna Abschied. Die Polizei hat derweil offenbar noch keine heiße Spur zum Mörder der 23-Jährigen aus Aschau.

"Deine Zeit mit uns war viel zu kurz und doch so intensiv und gewaltig schön. Du hast Dein Leben gelebt und geliebt. Nun hast Du eine große Reise angetreten."

Es sind Worte voller Trauer, die am Wochenende im "Oberbayerischen Volksblatt" (OVB) zu lesen waren. Es sind Worte der Fassungslosigkeit. Und des Abschieds. Des Abschieds von Hanna W., geboren am 23. Oktober 1998, gestorben am 3. Oktober 2022. Ermordet mit 23 Jahren nach einem Disco-Besuch. Die Todesanzeige ihrer Familie in der Lokalzeitung vermag in Ansätzen den Schmerz der Hinterbliebenen nach dem Verlust zeigen, greifbar macht sie ihn dennoch nicht.

Mord an Hanna bewegt Chiemsee-Region

Der Tod der jungen Studentin aus Aschau im Chiemgau bewegt die ganze Region. Im Rathaus ihrer Heimatgemeinde liegt ein Kondolenzbuch aus; Bürgermeister Simon Frank sagt: "Da zieht es einem regelrecht den Boden unter den Füßen weg. Was bleibt, ist eine Mischung zwischen Trauer, Wut und Fassungslosigkeit."

"Wir sind sehr betroffen", sagt auch Hans-Peter Butz. Er ist Kriminaldirektor in Rosenheim und leitete die Sonderkommission (Soko) "Club", die den Mord an der 23-Jährigen aufklären soll – aber weiterhin vor einem Rätsel steht. Der Mörder von Hanna W. läuft immer noch frei herum. Der Druck auf Butz' Team wächst von Tag zu Tag.

Für die Rosenheimer Kripo beginnt der Fall am Tag der Deutschen Einheit. Ein Passant findet im Fluss Prien in der gleichnamigen Gemeinde am Chiemsee gegen 14.30 Uhr eine Frauenleiche. Schnell ist für die Beamtinnen und Beamten klar: Es ist Hanna W. Noch am selben Tag steht nach der rechtsmedizinischen Untersuchung fest: Sie ist ermordet worden. Es gebe "eindeutige Spuren", die auf eine äußere Gewalteinwirkung schließen lassen und somit ein Tötungsdelikt belegen", teilt die Polizei mit. Wie Hanna gestorben ist und ob es zuvor ein Sexualdelikt gegeben hat, sagt die Soko nicht – das ist Täterwissen.

Die Ermittlerinnen und Ermittler beginnen sofort, die letzten Stunden im Leben von Hanna W. zu rekonstruieren. Sie studierte Medizin in Rumänien und war zu Besuch in ihrer Heimat. An ihrem letzten Abend in Aschau besucht sie den Hiphop-Club "Eiskeller", nicht weit von ihrem Elternhaus entfernt. Man kennt sich in der Gemeinde mit ihren rund 6000 Einwohnerinnen und Einwohnern, will zusammen feiern. Am 3. Oktober gegen 2.30 Uhr verlässt Hanna W. die Diskothek, belegen Aufnahmen aus der Überwachungskamera. Während der Party lässt sich Hanna W. fotografieren. Die Polizei nutzt dieses Foto für ihre Suche nach Hinweisen. Denn was nach dem Verlassen des Clubs bis zum Auffinden der Leiche geschehen ist, ist vollkommen unklar – bis heute.

Was geschah nach dem Besuch in der Disco "Eiskeller"?

Doch es gibt Ermittlungsansätze: Mehrere Hundert Menschen feierten mit Hanna zusammen auf der "Season Opening"-Party im "Eiskeller". Butz und seine Leute wollen möglichst alle von ihnen befragen. Möglicherweise hat Hanna ihren Mörder schon in der Disco getroffen. Auch ein Upload-Portal im Internet wurde eingerichtet. Besucherinnen und Besucher des Clubs können dort ihre Fotos und Videos des Abends hochladen. 90 von ihnen seien diesem Aufruf gefolgt, teilt die Polizei eine Woche nach dem Mord an der 23-Jährigen mit. Mehrere Hundert Gigabyte seien so bereits zusammengekommen und werden gesichtet. Weitere 120 Hinweise seien telefonisch bei der Soko eingegangen, ihnen wird nachgegangen. Die 60 Ermittlerinnen und Ermittler arbeiten mit "Hochdruck" an dem Fall, versichert die Polizei. Er habe "allerhöchste Priorität".

Kurz nach Auffinden der Leiche und in den Tagen danach schwärmen Dutzende Beamtinnen und Beamte ins Chiemgau aus, suchen die Umgebung der Diskothek nach Spuren ab. Polizeitaucher steigen immer wieder in die Prien, die in nur rund 200 Metern Entfernung am "Eiskeller" entlang fließt. Der Leichenfundort befindet sich flussabwärts in rund zehn Kilometern Entfernung. Und es gibt einen kleinen ersten Erfolg: Die schwarze Handtasche und die schwarze Lederjacke der Getöteten werden im Fluss gefunden und können kriminaltechnisch untersucht werden. Hannas Handy dagegen soll bis heute verschwunden sein, berichten mehrere Medien übereinstimmend.

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Doch zum Täter führen auch diese Funde nicht. Die Soko holt die Kolleginnen und Kollegen der Operativen Fallanalyse mit ins Boot, im Volksmund werden diese Spezialistinnen und Spezialisten "Profiler" genannt. Sie sollen helfen, den Mordfall zu durchdringen und die Tat zu rekonstruieren – und im besten Fall Hinweise auf den Täter geben. An der Spitze der Operativen Fallanalyse im München steht Alexander Horn, Deutschlands vielleicht bekanntester Fallanalytiker. Auch auf ihm ruhen viele Hoffnungen. Er hat beispielsweise 2011 dabei geholfen, fast 20 Jahre nach der ersten Tat den als "Maskenmann" bekannten Serienmörder Martin N. zu überführen.

Fallanalytiker Alexander Horn spricht im Podcast "stern Crime – Spurensuche" über den Fall Martin N.:

Die Polizei bittet um Verständnis, dass sie im Fall Hanna nicht so schnell einen Ermittlungserfolg präsentieren kann, wie es sich die Öffentlichkeit erhofft. "Von großer Bedeutung ist es gerade deshalb, dass wir unsere Untersuchungen und Ermittlungen mit größter Genauigkeit durchführen, die aufgrund des komplexen Falles jedoch noch geraume Zeit erfordern werden", sagt Soko-Chef Butz nach dem Tod der 23-Jährigen in einer ersten Zwischenbilanz zu den Ermittlungen. Ihn und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern treiben weiter viele Fragen um:

  • Wer hat die Getötete im Musikclub "Eiskeller" gesehen oder hatte dort Kontakt mit ihr?
  • Befand sich die 23-Jährige in Begleitung oder hatte sie dort mit jemandem Kontakt?
  • Wer hat die junge Frau beim oder nach dem Verlassen des Musikclubs oder im Laufe des Montags gesehen?
  • Wer hat insbesondere in den frühen Morgenstunden des Montags (3. Oktober) Wahrnehmungen in der Gemeinde Aschau im Chiemgau oder im Umfeld gemacht?

"Uns ist bewusst, was dieser Schicksalsschlag für Familie, Angehörige und Freunde bedeutet. Aber auch das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist sehr stark tangiert", sagt Butz weiter und er verspricht, "alle verfügbaren Mittel" einzusetzen, um Hannas Mörder endlich zu überführen.

Polizei bleibt in Aschau präsent

Die Polizei will auch in den nächsten Tagen in Aschau präsent sein. Unter anderem steht ein Infomobil auf dem Rathausplatz. Man stehe dort "für allgemeine Fragen und selbstverständlich auch für Hinweise in dem Fall allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung", heißt es.

Der "Eiskeller" hat seine geplante Party am vergangenen Wochenende abgesagt, "zurzeit geschlossen". Erst zu Halloween ist wieder eine Veranstaltung geplant – das Leben in Aschau muss weitergehen, irgendwie.

Das kommende Wochenende wird im Zeichen Hannas stehen. Für den Freitag ist die Beisetzung auf dem Gemeindefriedhof geplant. Statt um Blumen bitten die Hinterbliebenen um Spenden für die Feuerwehr sowie die Berg- und Wasserwacht – "im Sinne von Hanna", der 23-jährigen Medizinstudentin. Die Familie schreibt in ihrer Traueranzeige weiter:

"Wir bleiben hier mit Deinem Geschenk an wundervollen Erinnerungen und freuen uns auf ein Wiedersehen."

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Hinweise zu dem Fall nimmt die Kripo Rosenheim rund um die Uhr unter der Telefonnummer (08031) 2000 entgegen. Das Upload-Portal für Video-, Ton- oder Fotoaufnahmen finden Sie hier.

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