Was in seinem Kopf vorging, das wussten sie nicht. Woher dieses plötzliche Schweigen kam, die Lethargie, die Arroganz. Sie bemerkten nur, dass er ein ganz anderer geworden war. Es war nach den Osterferien 2003, und Daniel Martin S. wollte seine Freunde nicht mehr kennen. Vier Jahre später stellen sie sich nun viele Fragen. Ob sie etwas hätten ahnen können? Ob sie sein Gequatsche über "das System" nicht ernst genug genommen haben? Ob sie hätten aufhorchen sollen, als er sagte, er werde die Schule abbrechen und nach Brasilien gehen oder nach Afrika, zurück zu den "Wurzeln des Lebens", wie er es nannte. Sie hatten ja keine Ahnung, was daraus werden würde, sie können es eigentlich immer noch nicht glauben. Ihr Daniel, der HipHop-Fan und Streetball-Star, der Diskutierer und gute Freund, ihr Daniel, ein Terrorist?
Daniel Martin S., 22, aus Neunkirchen im Saarland sitzt seit vorvergangener Woche in Untersuchungshaft. Er wird beschuldigt, den wohl größten Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik vorbereitet zu haben. Er wurde zusammen mit Fritz Gelowicz, 28, und Adem Y., 28, in einem Ferienort im Sauerland festgenommen, sie hatten sich Kanister voller Wasserstoffperoxid besorgt, aus dem man Sprengstoff herstellen kann. Daniel Martin S. war ein einigermaßen guter Schüler, in Englisch vor allem, in Geschichte und Politik, in Sport. Er diskutierte gern mit den Lehrern, hatte kluge Argumente, so etwas schätzt man auf dem Gymnasium am Steinwald. Er war in der fünften Klasse, als sich seine Eltern trennten. Daniel ließ sich nicht anmerken, ob ihn die Trennung berührte. Der Polizei fiel er auf, als er eine Geldbörse klaute. Man fand Marihuana bei ihm, es war nur eine kleine Menge.
Nach der elften Klasse verließ er die Schule
Seine Leidenschaft war Basketball, er spielte im Verein, am liebsten aber draußen auf der Straße. Beim Streetball "konnte er sich besser profilieren", sagt ein Mitspieler von damals. Er lernte hier neue Freunde kennen, auch viele Muslime waren darunter. Seinen Mitschülern sagte er irgendwann, er werde das Abitur nicht machen. Die Lehrer sprachen mit ihm, es half nichts. Nach der elften Klasse verließ er die Schule. Auf der letzten Klassenfahrt, es ging in die Toskana, erlebten ihn seine Mitschüler noch so, wie sie ihn kannten. Daniel rauchte, trank Bier, trug HipHop-Shirts und Baggy- Jeans, das meiste hatte er im Internet bestellt, in den USA. Er erzählte, dass er neue Leute kennengelernt hatte, einen Iraker und einen anderen Muslim, sie wollten zusammen verreisen, Brasilien, Afrika. Nach der Schule diente er dem Staat, Luftlandepionierkompanie 260 in Saarlouis, Kampfmittelräumtruppe, der Wehrdienst dauerte neun Monate.
Es muss kurz danach gewesen sein, als Daniel Martin S. das erste Mal in der Yunus-Emre-Moschee in Neunkirchen auftauchte. Ahmet Kilic, der Vorsitzende der türkisch-islamischen Gemeinde, erinnert sich an einen "ruhigen, ernsthaften Menschen". Daniel kam meist mit zwei anderen jungen Männern, Houssain al M. und Zafer S. Die drei kannten sich von der Reinigungsfirma für Industrieanlagen, wo Daniel einen 400-Euro-Job angefangen hatte, Zafers Vater ist dort Vorarbeiter. Die Behörden vermuten, dass Zafer S. und Daniel Martin S. im Sommer 2006 ein Ausbildungslager in Pakistan besuchten. Houssain al M. wollte in diesem Jahr offenbar auch dorthin. Er wurde am 10. Juni in Pakistan verhaftet. Nach Zafer S. wird gefahndet. Ein Mitschüler hatte Daniel kurz nach den Osterferien 2003 einen Brief geschrieben. Er wolle ja nur verstehen, warum er sich so verändert habe, er wolle das gar nicht kritisieren. Es war ein Brief, wie ihn ein guter Freund schreibt. Daniel Martin S. hat nie geantwortet. Als der Freund im Radio hörte, dass ein Konvertit aus dem Saarland festgenommen worden sei, dachte er sofort: Das ist Daniel.