In dichten Reihen durchkämmt eine Einsatzhundertschaft das zugewucherte Unterholz einer Lichtung. Die Beamten blicken konzentriert zu Boden, schieben Zweige an die Seite und wühlen im Moos. Nur 100 Meter weiter ist lautes Bellen aus einer Fichtenschonung zu hören. Hier hatte ein Pilzsammler am Montag eine eine skelettierte Mädchenleiche entdeckt. Und die Ermittler sind sich so gut wie sicher, dass es sich um die Anfang Mai in Cuxhaven verschwundene Levke handelt. Allein der sichere Beweis durch die Erbgut-Analyse steht noch aus.
Karl-Heinz Weber hatte am Montag bei idealem Steinpilz-Wetter in der dichten Schonung Pilze gesucht, als er zuerst auf eine Kordhose stieß. "Da habe ich nur gedacht, dass die einer weggeschmissen hat. Die Leute werfen ja viel weg im Wald", erinnert sich der 53-Jährige aus dem nur knapp zehn Kilometer vom Fundort entfernten Neu- Listernohl. Als er dann nur ein paar Meter weiter einen Knochen entdeckte, "der für Rehwild zu dick war", sei er noch einmal zu der Hose zurückgegangen. "Dabei entdeckte ich dann weitere Knochen, unter anderem den Teil eines Kiefers", berichtet Weber. Er habe dann die Schonung auf dem schnellsten Weg verlassen und den Einstieg am Weg markiert, bevor er die Polizei alarmierte. "Damit ich die Stelle wiederfinde."
Weitere Kleidungsreste gefunden
Schnell wurde klar, dass der grausige Fund wirklich von einem Kind stammte. Und genauso schnell kamen die Ermittler auf die seit fast vier Monaten vermisste Levke. Bei einer ersten Suche wurden am Dienstag weitere Kleidungsreste gefunden, die auf die vermisste Schülerin aus Cuxhaven hindeuteten.
Am Donnerstag begann dann in dem idyllischen Waldstück des Erholungsgebiets am Biggesee die Feinsuche. Das Gelände ist weiträumig abgesperrt, auf den Wegen haben die Beamten Markierungen aufgesprüht, um Abschnitt für Abschnitt genau unter die Lupe zu nehmen. "Die Hunde werden die Nase auf jedem Quadratdezimeter haben", sagt der aus Cuxhaven angereiste Chef der Soko Levke, Peter Döscher.
Das Gebiet, in dem jetzt vor allem nach weiteren Kleidungsstücken, nach den Schuhen des Kindes und nach Levkes Brille gesucht wird, ist rund 15 000 Quadratmeter groß. Sieben Leichenspürhunde und rund 100 Polizeibeamte sind im Einsatz. Döscher: "Ich gehe davon aus, dass die Suche mehrere Tage dauert."
"Das ist ein schwieriges Einsatzgebiet", sagt der Diensthundeführer aus Schloss Holte-Stukenbrock, der mit seinem fünfjährigen belgischen Schäferhund "Berti" gerade aus der Schonung kommt. Dem Beamten hängen Fichtennadeln am Kragen und im Haar. Stückchen für Stückchen muss er zum Teil mit dem Hund durch das dichte Unterholz kriechen. Nach 15 Minuten ist der Hund ausgelaugt und wird durch ein anderes Tier abgelöst. Nach einer Pause ist "Berti" wieder einsatzbereit. "Für uns ist das eine ernste Geschichte, für den Hund ist die Suche aufregend", sagt sein Herrchen, während er mit dem Hund zu seinem Einsatzwagen geht.
Fund "absoluter Glücksfall"
Neben den noch vermissten Kleidungsstücken und weiteren Skelettteilen haben die Beamten auch ein Auge auf weitere Beweisstücke, die zur Aufklärung des Verbrechens beitragen könnten. Der Fund von Karl-Heinz Weber ist für Döscher ein absoluter Glücksfall. "Normalerweise hätte diese Schonung in den kommenden Jahren niemand betreten", sagte Döscher. Und weil er jetzt Kleidungsreste hat, die von Fachleuten untersucht werden können, gibt es auch Hoffnung, den Hintergrund des Todes von Levke aufzuklären. Döscher zur Frage nach dem Täter: "Wir wollen ihn kriegen."
Das beschauliche Cuxhaven-Altenwalde am Donnerstag: An der Hauptstraße geschäftiger Betrieb, in den Seitenstraßen Ruhe. An einer dieser Straßen liegt die Franzenburger Schule, ein modernes großzügiges Gebäude. Bald nach 12.00 Uhr öffnen sich die Türen, Schulschluss. Einige Fahrschüler warten auf den Bus, andere werden von ihren Eltern in Empfang genommen. "Die Sorge um die Kinder nimmt zu", erklärt eine Mutter. Sie holt ihre Söhne Shimon und Benjamin von der Schule ab, seitdem Levke verschwunden ist.
Bis zum 6. Mai besuchte auch Levke diese Grundschule, die nur einen knappen Kilometer von ihrem Elternhaus entfernt liegt. An jenem Tag war sie mit einer Klassenkameradin nach Hause in den von Einfamilienhäusern gesäumten Karkweg gegangen. Levkes Mutter war außer Haus zu einer Fortbildungsveranstaltung, der Vater noch bei der Arbeit. Levke aber hatte ihren Schlüssel vergessen und konnte nicht ins Haus. Um 12.30 Uhr wurde sie noch auf dem Grundstück gesehen. In den folgenden 20 Minuten muss sie dann ihrem Mörder begegnet sein, denn als der Vater um 12.50 Uhr nach Hause kam, war das Kind verschwunden.
Fahndung mit allen Mitteln
Was geschah, ist der Polizei bis heute ein Rätsel. Zwar wurden am folgenden Tag auf dem Waldparkplatz Ranzen, Sporttasche und Jacke des Mädchens gefunden, doch brachte dieser Hinweis die Ermittler ebenso wenig weiter wie die bundesweite Internet-Fahndung und die ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst", die vielen Flugblattaktionen oder der Versuch der Familie, mit Hilfe des Aufrufs in dem Schaukasten Hinweise zu erlangen. In dem Kasten ist auch ein Brief der Geschwister ausgestellt. "Sie fehlt uns beim Spielen, Essen, Kochen, Kuscheln, Streiten, Herumalbern und mehr", schrieben sie an alle Passanten. "Wir bitten Sie, bei der Suche nach Levke zu helfen." Erfolg hatten sie nicht.
Viele Altenwalder hatten nach eigenen Angaben zwar mit dem Tod Levkes gerechnet. Trotzdem: "Es ist ein Schock", sagen Natascha Amann und ihr Vater Hartmut wie andere Altenwalder. Die meisten meinen zu wissen, was passiert ist: "Ein Sexualdelikt", glaubt Schulbus-Fahrer Heinz-Werner Kremser. "Das ist am wahrscheinlichsten", sagt auch Sparkassen-Mitarbeiterin Hilke Grünwald, die am frühen Morgen mit anderen Mitgliedern ihrer Freikirchen-Gemeinde gebetet hat, "dafür, dass die Eltern durch dieses Leid hindurch getragen werden".