Gerichtsurteil "S-Bahn-Schubser" muss ins Gefängnis

Wegen versuchten Totschlags ist der Hamburger "S-Bahn-Schubser" zu einer Jugendstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden. Vor dem Gerichtsgebäude spielten sich anschließend tumultartige Szenen ab.

Ein Video sollte kurz vor Urteilsverkündung noch die Wende im Prozess gegen den Hamburger "S-Bahn-Schubser" herbeiführen. RTL hatte in der Sendung "Stern TV" ausführlich das Opfer zu Wort kommen lassen - und den 19 Jahre alten Angeklagten nach Meinung seines Verteidigers an den Pranger gestellt. Zwar billigte das Hamburger Landgericht am Mittwoch, den gut 14-minütigen Streifen zu zeigen. Doch an der Verurteilung des illegal in Deutschland lebenden Türken wegen versuchten Totschlags änderte die Vorführung nichts: Das Gericht verhängte zweieinhalb Jahre Jugendstrafe.

"Teils vorverurteilende Berichterstattung"

Immerhin hielt der Vorsitzende Richter Egbert Walk in seiner Urteilsbegründung dem Angeklagten zugute, die "teils vorverurteilende Berichterstattung" sei eine erhebliche Belastung für den 19-Jährigen gewesen. Dessen Verteidiger Matthias Wisbar lobte die Kammer denn auch, dass sie sich "von der auch in den Medien geschürten Lynchstimmung nicht beeindrucken lassen hat". Wisbar wirkte nach dem Schuldspruch gleichwohl zerknirscht, hatte er doch nicht sein Ziel erreicht, den Schubser seines Mandanten im S-Bahnhof Reeperbahn am 2. Mai als Körperverletzung statt als versuchten Totschlag zu werten.

Freunde und Verwandte des Täters, die auch den letzten von vier Verhandlungstagen zu Dutzenden auf den überfüllten Zuschauerplätzen verfolgten, wurden deutlicher: "Das ist echt Schwachsinn", brüllt einer kurz nach dem Schuldspruch vor dem Gerichtsgebäude. Die Schar der Fernsehteams holt sich bei ihrem Bemühen um Interviews eine Abfuhr nach der anderen ab. Auf dem Gehweg spielen sich tumultartige Szenen ab. "Die Medien sind schuld, dass das so aufgeputscht wurde", schimpft ein Freund des 19-Jährigen.

Die Mutter des 19-Jährigen lässt ihren Tränen freien Lauf, ihre Begleiter sind wütend. Sie halten das Urteil für überzogen und ungerecht. Und sie nehmen dem 21 Jahre alten Opfer nicht ab, von der Tat so traumatisiert zu sein, wie die junge Frau dies vor Gericht zu Protokoll gab: "Nach ein paar Wochen geht sie wieder feiern bis morgens um sechs."

Fortsetzung beim Therapeuten

Nach Darstellung von Opferanwalt Manfred Kartes ist das keineswegs so sicher: Die 21-Jährige sei zwar wie er "erleichtert, dass die juristische Auseinandersetzung mit diesem Ergebnis beendet wurde", sagt Kartes. "Aber für sie ist diese Sache noch lange nicht vorbei." Ihr nächtlicher Reeperbahnbummel vor viereinhalb Monaten wird nach seiner Darstellung bald eine Fortsetzung beim Therapeuten finden.

Nach Überzeugung des Gerichts gab der 19-Jährige seinem Opfer gezielt einen kräftigen Stoß und nahm den möglichen Tod der jungen Frau "billigend in Kauf". Dies gelte, obwohl der 19-Jährige in der Tatnacht betrunken war - ein Alkoholtest ergab 2,26 Promille - und seine Steuerungsfähigkeit dadurch möglicherweise eingeschränkt war. "Sie haben mit dem versuchten Totschlag schweres Unrecht verübt", redet Richter Walk dem 19-Jährigen ins Gewissen, der das Urteil ohne äußerliche Regung aufnimmt. Walk betont: "Sie müssen lernen, dass sie sich auch unter Alkoholeinfluss nicht zu Taten hinreißen lassen, die das Leben anderer gefährden."

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Jörn Bender/DPA

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