Prozess in Hamburg Mutmaßliche Vergewaltigung einer 15-Jährigen: Prozess startet – Zuschauer müssen sofort gehen

Prozess über die Gruppenvergewaltigung im Hamburger Stadtpark beginnt
Elf junge Männer müssen sich anderthalb Jahre nach der mutmaßlichen Vergewaltigung im Hamburger Stadtpark ab Dienstag vor Gericht verantworten
© Markus Scholz / DPA
Anderthalb Jahre nach der mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung einer 15-Jährigen im Hamburger Stadtpark beginnt der Prozess gegen elf Angeklagte. Die Verhandlung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Mehr als 11.000 Menschen haben ein sofortiges Gerichtsverfahren gefordert, nachdem sich die Ermittlungen zur mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung einer 15-Jährigen im Hamburger Stadtpark über Monate gezogen hatten. Jetzt,  anderthalb Jahre später, müssen sich die elf Angeklagten für die grausamen Übergriffe verantworten, die sie in der Nacht zum 20. September 2020 begangen haben sollen. Einzeln betreten die jungen Männer den Gerichtssaal. Ihre Gesichter haben sie hinter Basecaps, Kapuzen und FFP2-Masken versteckt. Dabei ertönen die klackernden Geräusche der vielen Kameras, die den Prozessbeginn einfangen. Nach wie vor erregt der Fall große Aufmerksamkeit.

Zehn der mutmaßlichen Täter wirft die Staatsanwaltschaft Vergewaltigung vor, dem elften Mann Beihilfe zur Vergewaltigung und das Erstellen kinderpornografischer Inhalte. Er soll auf seinem Handy festgehalten haben, wie sich die anderen abwechselnd an dem Mädchen sexuell vergangen haben. Mehr als 17 Monate liegt die Nacht bereits zurück, in der das 15-jährige Opfer bei einer Geburtstagsfeier im Hamburger Stadtpark ihre Freunde verloren haben soll. In angetrunkenem Zustand soll sie im Bereich der Festwiese auf zwei junge Männer getroffen sein. Drei Weitere sollen wenig später dazugekommen sein. Die Gruppe soll das Mädchen in ein Gebüsch gezerrt und vergewaltigt haben.

Mehrere Vergewaltigungen im Hamburger Stadtpark

Als sich die Männer entfernt hätten, soll die 15-Jährige laut Berichten des "Hamburger Abendblatt" von weiteren Männern überfallen worden sein, die das Opfer erneut ins Gebüsch gedrängt hätten. Dort soll es zu Geschlechtsverkehr mit sechs weiteren Männern gekommen sein. Die Täter haben sich laut Anklageschrift "in unterschiedlicher Beteiligung, zu unterschiedlichen Zeitpunkten und an verschiedenen Orten" an dem Opfer vergangen, "welches aufgrund ihrer Alkoholisierung nicht mehr in der Lage war, einen entgegenstehenden Willen zu äußern".

Angeklagter geht in den Gerichtssaal
Die elf Angeklagten verhüllen ihre Gesichter, als sie den Gerichtsaal betreten
© Markus Scholz / DPA

Zahlreiche Fragen sind noch offen. Da alle Angeklagten zum Tatzeitpunkt unter 21 Jahre alt waren, findet die Verhandlung vor der Jugendstrafkammer statt. Schritt für Schritt aufzuklären, was in der Septembernacht passiert ist, und wer in welchem Maße beteiligt war, sei Hauptgegenstand des Prozesses, erklärt Kai Wantzen, Sprecher am Oberlandesgericht, vor dem Beginn der Verhandlung. Der Gerichtssaal ist bis auf den letzten Platz besetzt. Jeder der elf jungen Männer hat einen Pflichtverteidiger zugeteilt bekommen, im Zuschauerbereich tummeln sich etliche Journalisten – die den Raum jedoch sogleich verlassen müssen. Die Öffentlichkeit wird ausgeschlossen, wie Richterin Anne Maier-Göring wenig später verkündet.

Verhandlung ohne die Öffentlichkeit

Grund dafür ist vor allem der Schutz der Privatsphäre des Opfers und der mutmaßlichen Täter. "Es handelt sich um ein Verfahren wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, in dem Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich, insbesondere der Intim- und Sexualsphäre Gegenstand der Erörterung werden", verliest die Juristin den Beschluss des Gerichts. "Dies gilt umso mehr, als die Nebenklägerin noch jugendlich ist, weshalb besonders zu berücksichtigen ist, welche Belastung für sie mit einer öffentlichen Hauptverhandlung und einer öffentlichen Berichterstattung verbunden ist." Zudem werde das Gericht zahlreiche Zeugen im Alter von unter 18 Jahren vernehmen, darunter auch das Opfer selbst, wie Gerichtssprecher Wantzen auf stern-Nachfrage bestätigt.

Bereits in der Anklageschrift – die 88 Seiten umfasst – würden sensible Details zur Sprache kommen. Die "schutzwürdigen Interessen" der Prozessbeteiligten überwiegen in den Augen der Richterin das Interesse das Öffentlichkeit, das Maier-Göring als "erheblich" bezeichnet. Etliche Medien hatten über die mutmaßliche Gruppenvergewaltigung und die anschließenden Ermittlungen berichtet. Dabei ist die Staatsanwaltschaft aufgrund der Verfahrensdauer immer wieder in die Kritik geraten. Die Ermittlungen beschrieb Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich als aufwendig, umfangreich und komplex. Er bat um Geduld: "Man sollte der Staatsanwaltschaft hier doch bitte vertrauen", sagte der dem "Hamburger Abendblatt". Doch als nach einem Jahr immer noch keine Anklage gegen die Verdächtigen erhoben worden war, ging ein Aufschrei durch die Öffentlichkeit.

"Unzumutbare öffentliche Anprangerung"

Eine Online-Petition, die Tausende Menschen unterzeichneten, forderte eine sofortige Gerichtsverhandlung, sowie die Veröffentlichung der Gesichter der Täter. Auf einem Instagram-Account wurden Fotos der mutmaßlichen Täter und Details aus deren Privatleben geteilt. Hassnachrichten, Aufrufe zur Gewalt bis hin zu Todesdrohungen folgten. Die Polizei leitete über hundert Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt ein. Die "teilweise aufgeheizte Stimmung in der Bevölkerung in Bezug auf das hiesige Verfahren" bringt Richterin Maier-Göring ebenfalls zur Sprache. Es bestehe die Gefahr "unzumutbarer öffentlicher Anprangerung", weshalb sowohl das Opfer als auch die Angeklagten in besonderem Maße davor zu schützen seien, "dass intime Belange über sie bekannt und verbreitet werden".

Angeklagte sitzen im Gerichtssaal
Der Gerichtssaal des Hamburger Landgericht ist bis auf den letzen Platz besetzt
© Markus Scholz / DPA

Aufgrund der Bedrohung aus der Bevölkerung sei es wichtig, dass der Öffentlichkeit keine weiteren Details, wie etwa Wohnort oder Geburtsdatum der jungen Männer bekannt werden, die eine Identifizierung und ein Auffinden der Angeklagten ermöglichen würden. Sechs der mutmaßlichen Täter sind nach Angaben des "Hamburger Abendblatt" in der Hansestadt geboren, die übrigen in Polen, Libyen, Ägypten, Kuwait und dem Iran. Insgesamt zehn der Angeklagten haben einen Migrationshintergrund. Gegen keinen der jungen Männer lag ein Haftbefehl vor, lediglich einer von ihnen befand sich kurzzeitig in Untersuchungshaft. Mehrere von ihnen sollen laut "Focus" allerdings schon vor dem mutmaßlichen Übergriff gewaltauffällig gewesen sein.

Mehr als 40 Zeugen nach Vorfall im Hamburger Stadtpark befragt

Die Polizei hatte noch in der Nacht des 20. Septembers mit den Ermittlungen begonnen. Das 15-jährige Mädchen und erste Zeugen sind befragt, Videomaterial aus öffentlichen Überwachungskameras sichergestellt und der Tatort abgesperrt worden. Wenige Wochen später hatten die Beamten bereits einen ersten Kreis an Verdächtigen, bei anschließenden Hausdurchsuchungen konnte aber kein Beweismaterial festgestellt werden. Das Handyvideo, auf dem die Vergewaltigung zu sehen sein soll, sei bis heute nicht gefunden worden, sagt Gerichtssprecher Wantzen dem stern. Allerdings gebe es Zeugen, die die Aufnahmen gesehen hätten und beschreiben könnten.

Mehr als 40 Zeugen seien bereits im Vorfeld befragt worden, hinzu kamen kriminaltechnische Untersuchungen und viele weiterer Hinweise. Die sorgfältige Aufarbeitung dieses "keinesfalls klaren Sachverhalts" sei laut Generalstaatsanwalt Fröhlich die Ursache für die lange Zeit, die bis zur Anklage vergangen ist. Die Auswertung von DNA – neun unterschiedlicher Spermaspuren – nahm ebenfalls Zeit in Anspruch. Erst danach konnte der Kreis der Verdächtigen genauer bestimmt werden. Den einzelnen Personen bestimmte Handlungen zuzuordnen, bleibt aber weiterhin eine Herausforderung.

Mehr als 40 Prozesstage

"Die Spuren zeugen zwar von der Anwesenheit am Tatort", sagt Gerichtssprecher Wantzen. "Sie sagen aber nichts über den Tathergang aus." Den jungen Männern, die heute zwischen 18 und 22 Jahre alt sind, ist jeweils ein Pflichtverteidiger gestellt worden. Erst nachdem die Anwälte Einsicht in die Akten erlangt und Stellung genommen hatten, konnte es zu einer abschließenden Bewertung und zur Anklage kommen. Im Laufe der Verhandlung wird sich außerdem zeigen, nach welchem Recht die einzelnen Angeklagten zu beurteilen sind.

Drei von ihnen waren zum Tatzeitpunkt minderjährig, bei ihnen gilt das Jugendstrafrecht. Die restlichen mutmaßlichen Täter gelten aus juristischer Sicht als "Heranwachsende". "Bei ihnen wird der Entwicklungsstand beurteilt werden", erklärt Gerichtssprecher Wantzen im Gespräch mit dem stern. Die geistige Reife bestimme dann, ob bei ihnen Erwachsenen- oder ebenfalls Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Auch deshalb werden die Zuschauer vom Verfahren ausgeschlossen.

Blick auf das Planetarium im Hamburger Stadtpark
Der Hamburger Stadtpark. Was genau in der Nacht zum 20. September 2020 passiert ist, soll sich im Laufe des Prozesses klären.
© Marcus Brandt / Picture Alliance

Denn bei einer öffentlichen Hauptverhandlung sei aufgrund der bisherigen Berichterstattung und der Gewaltaufrufe aus der Bevölkerung mit einer weiteren Stigmatisierung und Vorverurteilung zu rechnen, "die einen negativen erzieherischen Einfluss auf die Angeklagten haben könnten", verliest Richterin Maier-Göring aus dem Beschluss. Das erzieherische Interesse und der besondere Schutz des Intim- und Sexualbereiches stehen im Vordergrund. Deshalb kann die Öffentlichkeit auch bei der Urteilsverkündung ausgeschlossen werden, "wenn dies aufgrund der Erkenntnis und des Verlaufs der Hauptverhandlung geboten sein sollte", lautet der abschließende Satz der Erklärung. Mit dem Urteil ist frühestens im Dezember zu rechnen. Mehr als 40 Verhandlungstage sind für den Prozess geplant.

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