Sonntagmorgen, 6 Uhr. Hinter der 32-Jährigen liegt eine lange Nacht. Jetzt will sie nur schnell nach Hause. Von ihrer Kneipe im Hamburger Kiez läuft sie zum Taxistand Große Freiheit. Sie steigt in den Wagen eines 57-Jährigen ein, die letzten Nachtschwärmer ziehen draußen vorbei. Feierabend. Entspannen. Nur, welche Route nimmt der Fahrer? Das ist doch falsch. Der Mann fährt nach Norden, und nicht dahin, wo die Frau möchte. Sie fragt skeptisch nach, bekommt einen Faustschlag ins Gesicht und wird in den Kofferraum gesperrt, aus dem sie erst sechs Stunden später befreit werden kann. Es ist der Beginn einer Odyssee, die die Hamburger Polizei am Tag danach per Pressemitteilung bekannt gibt. Darin heißt es: "Einem 57-jährigen Taxifahrer wird die Entführung einer 32-jährigen Frau vorgeworfen. Weiterhin soll er versucht haben, eine 24-Jährige zu entführen. Der Beschuldigte sitzt inzwischen in Untersuchungshaft."
Nein, das ist doch nicht möglich. Die Sekretärin im Bürgermeisterbüro von Hasloh mag gar nicht glauben, was sie da hört. Ein Taxifahrer, der zwei Frauen entführt? "Und der soll auch noch aus unserem schönen Ort kommen, unvorstellbar."
Im Zickzackkurs gegen die Handyortung
Dass irgendetwas in der knapp 4000-Seelen-Gemeinde vor den Toren Hamburgs nicht stimmt, hatte sie schon am Sonntagvormittag gemerkt. Da kreiste über Hasloh ein Polizeihubschrauber, durch den Ort fuhren Polizeiwagen. Nun ist klar, warum. Doch begreifen kann es keiner: Laut ersten Ermittlungen der Polizei hatte der Taxifahrer die Frau zunächst beschimpft und beleidigt, als sie ihn wegen der falschen Route ansprach. Dann eskalierte die Situation.
Plötzlich hielt der Fahrer an, riss die Tür auf und zerrte die zierliche Frau aus dem Taxi. Er schlug sie und sperrte sie in den Kofferraum. Scheinbar ungerührt habe der Mann anschließend seine Fahrt fortgesetzt. Sein Opfer indes hatte Glück im Unglück. Über ihr Handy konnte die 32-Jährige die Polizei alarmieren. In der Hamburger Einsatzzentrale reagieren die Beamten sofort. Eine Großfahndung wird eingeleitet. Das Problem: Man weiß zunächst nicht, wo man die Frau überhaupt suchen soll. Zwar wird eine Handyortung veranlasst. "Aber da man das Telefon nur innerhalb eines Bereichs von anderthalb Kilometern um einen Funkmasten orten kann, und der Mann im Zickzackkurs durch Hamburg und Schleswig-Holstein fuhr, gelang es nicht, ihn zu fassen", erklärt Hamburgs Polizeisprecherin Ulrike Sweden. Auch die Frage, wer der Entführer ist, bleibt zunächst unbeantwortet. Er ist bei den bekannten Taxiunternehmen nicht angemeldet, denn er fährt ein sogenanntes freies Taxi.
Das gibt es sonst nur im Film
Es ist ein Zufall, dass etwa sechs Stunden später, gegen 12 Uhr, Passanten in Hasloh Hilferufe hören. Sie kommen aus dem Kofferraum des Taxis, das vor einem Wohnhaus abgestellt ist. Es gelingt den Zeugen, den Kofferraum zu öffnen - was sie sehen, kennen sie sonst nur aus Filmen. Zusammengekauert liegt eine Frau in dem Wagen. Sie ist traumatisiert und hat Hämatome am ganzen Körper. Ein alarmierter Rettungswagen bringt sie in ein Krankenhaus.
Doch wo ist ihr Entführer? Laut Polizeiangaben nehmen Beamte der Polizei Pinneberg den 57-Jährigen "an seiner Wohnanschrift in Hasloh" vorläufig fest. Er hatte das Taxi mit der entführten jungen Frau im Kofferraum direkt vor seiner Wohnung abgestellt und sich seelenruhig schlafen gelegt. Als die Polizisten ihn antreffen, steht er noch immer erheblich unter Alkoholeinfluss. Das merken die Beamten sofort. Weil er einen offiziellen Alkoholtest ablehnt, wird er zum Kriminaldauerdienst in Hamburg gebracht. Dort wird er auch zu der Entführung befragt und gesteht schließlich, laut Staatsanwaltschaft, die Tat. Doch nicht nur das. Die Beamten erfahren, dass der Mann Stunden vor der Entführung der 32-Jährigen versucht hatte, eine weitere Frau zu kidnappen. Gegen 2:40 Uhr in der Nacht war eine 24-Jährige im Bereich der Hamburger Reeperbahn in sein Taxi gestiegen. Sie wollte in den Hamburger Stadtteil Eilbek. Auch sie bemerkte, dass der Fahrer in die falsche Richtung fuhr und sprach ihn darauf an. Doch der fuhr unbeirrt weiter in Richtung Norden. Geistesgegenwärtig nutzte die junge Frau den Halt an einer roten Ampel und flüchtete.
Nun sitzt der Taxifahrer wegen schwerer Freiheitsberaubung und Körperverletzung in Untersuchungshaft.