Haussklavin-Prozess Leibeigene für Gewaltspiele

  • von Uta Eisenhardt
Der Verdacht ist ungeheuerlich: Rund neun Monate sollen Eheleute eine junge Frau als Haussklavin gehalten und misshandelt haben. Nun steht das Paar vor Gericht.

Kaum hat der Vorsitzende Richter die Sitzung geschlossen, ist deren Inhalt schon Stadtgespräch auf dem Bahnhof Mosbach. "Mit zwanzig hat man doch einen Beruf und geht nicht mit irgendwelchen Leuten mit", kommentiert eine Frau den brühwarmen Bericht eines Prozessbeobachters. Sie kennt eben nicht die Umstände, unter denen die mittlerweile 21-jährige Sandy M. aufwachsen musste, die sie zum mutmaßlichen Opfer von Horst und Lilia K. empfahlen. Diese Umstände benannte ein Polizeiermittler schlagzeilenartig vor dem Landgericht Mosbach, wo jetzt der Prozess gegen das Ehepaar K. begann.

Hörbar klirren die Fußketten, mit denen Horst K. in den Sitzungssaal 101 schlurft. Sein Gesicht hat der große, vollbärtige 51-Jährige mit einem grünen Hefter verdeckt, seine Frau Lilia K. schützt sich mit einem orangefarbenen Exemplar. Sie ist sehr klein und sehr dick, der Bauch der 46-Jährigen hängt an ihr wie eine Schürze. Kaum ist das Blitzlichtgewitter verklungen, sinken die Hefter auf die Tische und Horst K. wirft einen verächtlichen Blick auf die kleine, runde, blonde Frau ihm gegenüber. Es ist Sandy M., die er geschlagen, getreten, sexuell genötigt und gefangen gehalten haben soll. Die Vorwürfe könnten der Wahrheit entsprechen, denn der Angeklagte hat schon einmal für vier Jahre und sechs Monate in Haft gesessen, weil er die siebzehn Jahre jüngere Schwester seiner Frau von Januar 2000 bis Juni 2002 versklavt hatte.

16 Jahre lang Heroin

Sandy M. muss ihrem mutmaßlichen Peiniger heute nicht lange in die Augen schauen. Weil die Anwältin der jungen Frau verhindert ist, beschränkt sich das Gericht am ersten Verhandlungstag auf den Rapport der Polizeiermittlungen und des Lebens der Angeklagten. So kommt die Rede auf Horst K., dessen Vater starb, als er sechs Jahre alt war. "Danach gab es wieder einen Stiefvater", sagt der Angeklagte. Seine Worte verraten das trostlose Milieu, in dem er und seine neun Geschwister "im Schrotthandel bei Verwandten" aufwuchsen.

Dort lernte er auch die damals 15-jährige Lilia kennen, der es kaum besser ergangen war. Das Mädchen war die Älteste von vier Geschwistern, ihre Eltern seien "rumgezogen". Als sie sieben Jahre alt war, wurde sie für ihre Geschwister verantwortlich gemacht. Nach der Geburt ihres Bruders war für die 13-Jährige "gar nichts mehr mit Freizeit". In die Schule sei sie "nur selten" gegangen. Von wem sie dann das saubere und fehlerfreie Schreiben gelernt habe, das er in ihren Briefen festgestellt habe, will der Richter wissen. "Vom Opa", antwortet die Angeklagte. "Ah, der Familienverbund!", kommentiert der Vorsitzende anerkennend. Trotzdem konsumierte Lilia K. 16 Jahre lang Heroin, verrät ihre Anwältin Anke Stiefel-Bechdolf. Seit Jahren substituiere ihre Mandantin mit Methadon.

Routiniert trägt Staatsanwältin Michaela Molnar die Anklage vor, wonach die damals 19-jährige Sandy M. im Internet auf Matthias K., den Sohn von Horst und Lilia K., stieß. Die junge Frau hatte gerade ihren frisch angetrauten Mann verlassen, er soll sie geschlagen haben, wie der Polizei-Ermittler vor Gericht sagt. Danach zog sie von Mann zu Mann bis sie im März 2010 den damals 13-Jährigen kennen lernte. Eine Woche später zog sie zu dem schwerst übergewichtigen Jungen und dessen Eltern auf der Suche nach einem "Halt gebenden Familienumfeld", so die Anklägerin.

Festigung des Herrschaftsverhältnisses

Zunächst muss das Zusammenleben der Vier auch gut geklappt haben. Eines Tages aber titulierte das Familienoberhaupt die junge Frau als "Schlampe" und "Hure". Das soll im Juni 2010 gewesen sein, drei Monate nach ihrem Einzug. "Warum", habe Sandy M. gefragt und eine Ohrfeige kassiert. Als sie zu weinen begann, habe ihr Lilia K. geraten, sie solle ruhig sein, es werde sonst noch schlimmer. In der Tat blieb die junge Frau bei dem mutmaßlichen Schläger. "Die eigene Wohnungsnot und familiäre Erfahrungen begünstigten die lange Akzeptanz dieses Verhaltens", so die Staatsanwältin.

Was sie damit meint, erklärt der Polizeibeamte, der die Ermittlungen leitete: Sandy M. wurde in Würzburg als ältestes von sieben Kindern geboren. Als sie sechs Jahre alt war, trennten sich ihre Eltern. Ihr Stiefvater schlug sie. Als die Mutter eine Gefängnisstrafe verbüßen musste, kam das Mädchen erstmals ins Heim. Dort wurde sie erneut untergebracht, als sie sich mit 13 Jahren beim Jugendamt meldete und von den Schlägen des Stiefvaters und der Hilflosigkeit ihrer Mutter berichtete. Später bezichtigte sie sich selbst der Lüge, weil sie unter der Trennung von der Mutter litt. Auf der Suche nach Liebe und Anerkennung geriet sie an einen Mann, dessen rechtes Gedankengut sie nachplapperte und schließlich an die Familie K.

Als die junge Frau nach den ersten Misshandlungen keine Gegenwehr leistete, "festigte sich das Herrschaftsverhältnis", so die Anklägerin. Aus "Angst vor Repressalien" fühlte sich Sandy M. an die Angeklagten gebunden. Horst K. lebte an ihr seine sadistischen Neigungen aus und Lilia K. soll es begrüßt haben, den "Gewalttätigkeiten ihres Mannes nicht allein" ausgesetzt zu sein. Sandy M. habe nun sämtliche Hausarbeiten übernehmen müssen, außer dem Kochen. Ab September 2010 durfte die mutmaßliche Sklavin nicht mehr allein das Haus verlassen, nur noch bewacht von Mutter und Sohn.

Mit der Faust ins Auge

Ab und zu hätte Familie K. Ausfahrten mit dem Auto unternommen. Man parkte es direkt vor der Hauseingangstür, um der Gefangenen kaum Möglichkeiten zur Flucht zu bieten. Dennoch habe sie es einmal versucht. Lilia K. soll sie festgehalten, Horst K. ihr später Bankkarte, Personalausweis und SIM-Karte abgenommen haben, "um jegliche Gedanken an einen Flucht im Keim zu ersticken", so die Anklägerin.

Die Übergriffe wurden immer brutaler. Die "Leibeigene" musste auf dem nackten Boden vor dem Ehebett schlafen. Der Familienvater drohte ihr, sie die Treppe herunter zu stoßen und ihr den Kopf abzuschneiden. Er setzte ihr eine Messerklinge an den Hals. Mindestens drei Mal wöchentlich bis täglich schlug und trat er sie ins Gesicht und in den Körper, vor allem in Rücken und Nacken. Manchmal benutzte er seine Gürtelschnalle, 40 Mal den Griff eines fünfzig Zentimeter langen Messers oder einen Stock. Der soll bei einer der Züchtigungen sogar zerbrochen sein.

Im Oktober oder November 2010 schlug er ihr mit der Faust ins rechte Auge. Die Netzhaut riss, ein Nerv ist seitdem gelähmt, die Sehkraft erheblich vermindert. Obendrein soll Horst K. sein mutmaßliches Opfer auch noch betatscht haben, an den Brüsten und der Vagina, auch unterhalb der Kleidung, "um seine sexuelle Erregung zu steigern", wie die Staatsanwältin verliest.

Noch am Tag bevor es der zu dieser Zeit abgemagerten Frau gelang, über ein geöffnetes Fenster zu fliehen, soll er ihr in die Rippen getreten haben. Tatsächlich waren zwei davon gebrochen, als man Sandy M. später untersuchte. Überdies diagnostizierten die Rechtsmediziner am ganzen Körper blaue Flecken sowie Brüche an Hand und Nasenbein.

"Das Leben ändern"

Den Nachbarn, so ermittelte die Kriminalpolizei später, war zwar die merkwürdige Ein- und Aussteige-Prozedur bei den Auto-Ausfahrten aufgefallen. Für ein Opfer aber hielten sie die kleine, ungepflegte Frau mit dem traurigen Gesichtausdruck nicht.

Die Anklage geht nun von mindestens 50 Fällen der gefährlichen und 71 Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung aus, für Horst K. kommt die sexuelle Nötigung noch dazu.

Das Verfahren gegen den mittlerweile 15-jährigen Sohn hat die Staatsanwaltschaft wegen fehlender Verantwortungsreife eingestellt.

"Unterstellen wir mal, Sie kommen nach diesem Verfahren aus dem Gefängnis raus", fragt der Richter die Angeklagte. "Was wollen Sie dann machen?" "Auf alle Fälle das Leben ändern." "Ich habe mal gehört, Sie wollen sich scheiden lassen", bohrt der Vorsitzende weiter. Die Antwort klingt unbestimmt: "Ich habe das in Erwägung gezogen."

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