Mordfall Bad Buchau "Florim macht jetzt die Nachbarin kalt"

  • von Malte Arnsperger
Der Mord an einer 26-jährigen Mutter im oberschwäbischen Bad Buchau sorgte im vergangenen April für Aufsehen: Weil der mutmaßliche Täter so jung war, erst 15, und so kaltblütig. Am Montag beginnt der Prozess. Hier lesen sie, was über die Hintergründe dieser Tat bekannt ist.

Empathie ist die Fähigkeit, sich in die Gefühle eines anderen Menschen hineinzuversetzen. Menschen erlernen diese Fähigkeit schon von klein auf - der eine mehr, der andere weniger. Die beiden Jugendlichen Florim S. und Martin K. aus dem schwäbischen Dorf Bad Buchau scheinen zur zweiten Kategorie zu zählen. Der damals 15-jährige Florim soll am 15. April 2009 in die Wohnung einer Nachbarin in einem Mehrfamilienhaus eingebrochen sein, die 26-jährige Mutter Daniela K. erst gefesselt und dann erschlagen haben. Dies, weil er angeblich ihren Fernseher klauen wollte. Sein damals 17-jähriger Kumpel Martin soll alles mitbekommen, die Tat aber nicht verhindert haben. Sie sind des gemeinschaftlichen Mordes angeklagt und müssen mit einer Jugendstrafe bis zu zehn Jahren rechnen. Eine schwer begreifliche Tat, die das Landgericht Ravensburg ab Montag aufklären will. Es ist keine leichte Aufgabe, denn mittlerweile gibt es mehrere Versionen des Tatablaufs.

Masken aus Hemdstoff

Für Polizei und Staatsanwaltschaft steht fest, dass Florim die Tat lange geplant hatte. Sie unterstützen folgende Version der Tat: Demnach brauchte der Junge Geld für seinen Motorroller. Da er mit dem Stiefsohn der Nachbarin befreundet war, wusste er wohl vom neuen LCD-Fernseher der Familie und plante, den Fernseher zu stehlen, damit er ihn später gewinnbringend verkaufen konnte. Zusammen mit Martin und seiner Clique fantasierte Florim von einem Einbruch bei der Nachbarin. Florim und Martin schnitten sich aus Hemden Masken zurecht, zogen sie sich über die Köpfe und fotografierten sich mit dem Handy. Nach Ansicht der Ermittler planten die Jugendlichen auch, die Frau zu töten, falls sie erwischt werden sollten.

In den Tagen vor der Tat hob Florim eine Grube direkt unter dem Balkon der Nachbarin aus. Dem ursprünglichen Tatplan zufolge sollte Daniela K. hier verscharrt werden, vermutet die Staatsanwaltschaft. Florims Eltern, ein Ehepaar aus dem Kosovo, bemerkten das Werkeln ihres Sohnes im Hinterhof. Seine Mutter fragte, was er da mache. Er murmelte etwas von Müll verbuddeln. Am Vormittag des 15. April soll Florim laut Anklage mit einer Schreckschusspistole und Brecheisen bewaffnet über den Balkon in die Wohnung von Daniela K. eingestiegen sein. Danach habe er die Frau überwältigt, gefesselt und mit Klebeband verschnürt. Anschließend, so die Ermittler, ging Florim zurück zu seiner Clique, die sich in der Nähe aufhielt, und berichtete von seiner Tat. Doch offenbar kam keiner der Jugendlichen auf die Idee, der Frau zu helfen. Martin begleitete den Freund zum Tatort, wo Daniela K. hilflos lag. Er sagte zwar, das gehe ihm zu weit, zeigte seinen Freund aber nicht an. Der Clique berichtete er: "Florim macht jetzt die Nachbarin kalt." Den Ermittlungen zufolge soll Florim dann Daniela K. mit dem Brecheisen erschlagen haben, während nebenan deren einjährige Tochter schlief.

Umstrittene Vernehmung

Einen Tag nach der Tat wurden die beiden Jugendlichen festgenommen, nachdem ein Zeuge sie belastet hatte. Die Polizeibeamten sprachen nach Florims Vernehmung, in der er die Tat einräumte, von einem emotionslosen Jugendlichen, der das Geschehene so detailliert und sachlich geschildert habe, "als wäre er auf den Bahnhof gegangen und hätte sich eine Fahrkarte gekauft".

Empört reagiert nun sein Anwalt. "Diese Vernehmung halte ich für unzulässig, da weder Anwalt noch Eltern dabei waren. Und zum Zeitpunkt der Aussagen der Polizei hatte ich noch nicht mal Akteneinsicht", kritisiert Uwe Rung im Gespräch mit stern.de. "Polizei und Staatsanwaltschaft wollten nur möglichst schnell einen Erfolg präsentieren und haben meinen Mandanten und sein Verhalten in eine Richtung gepresst, die nicht stimmt." Die Tat sei anders abgelaufen, Florim sei zudem kein gefühlskalter Mensch. Von dieser Kritik höre er das erste Mal, sagte der Oberstaatsanwalt stern.de.

Florim S. belastet seinen Freund

Rung wirft der Staatsanwaltschaft schwere Ermittlungsfehler vor. So sei die ausgehobene Grube viel zu klein für eine Leiche und keinesfalls für Daniela K. vorgesehen gewesen. Florim habe lediglich etwas Bauschutt und alte Teile seines Rollers vergraben wollen. Sein Mandant sei außerdem nicht alleine bei der Frau eingebrochen, sondern zusammen mit Martin K., so habe ihm der 15-Jährige berichtet. Nach dieser neuen Version soll Florim die Wohnung verlassen haben und nach kurzer Zeit zurückgekehrt sein. Daniela K. sei zu diesem Zeitpunkt bereits tot gewesen - getötet von Martin K. "Mein Mandant wird vor Gericht den Raubüberfall zugeben und dass er von der Tötung wusste", kündigt Rung an. "Aber er wird sagen, dass er die Frau nicht getötet hat, sondern dass es der Mitangeklagte war." Wie er dies beweisen will, dazu wollte sich der Jurist nicht äußern.

Auch, so Rung, sei der Tod von Daniela K. keinesfalls geplant gewesen. Schließlich hätten die beiden Freunde vor dem Einbruch vorsorglich an der Tür geklingelt, um auszuschließen, dass sie bei ihrem Vorhaben überrascht werden, sagt der Anwalt. "Sie wollten sich nicht durch ihren Tod bereichern, sondern genau das verhindern." Warum Daniela K. trotzdem sterben musste, auch dafür findet Uwe Rung eine Erklärung. "Sie waren überrascht, dass die Frau in der Wohnung war. Sie kamen mit der neuen Situation nicht klar und waren unter Druck. Es sind schließlich Jugendliche. Dann ist es eskaliert, aus dem Ruder gelaufen." Der Verteidiger von Martin K. wollte sich vor Beginn des Prozesses nicht äußern.

"Mir fehlen die Worte"

Das Gericht, das aufgrund des Alters der beiden Angeklagten nicht-öffentlich verhandelt, wird sich auch mit der Tatsache beschäftigen, dass keiner aus der Jugendclique versucht hat, den Mord zu verhindern oder ihn zumindest anzuzeigen. Zwei von ihnen wurden deswegen bereits wegen "Nichtanzeige geplanter Straftaten" zu mehrmonatigen Bewährungstrafen verurteilt. Für die Richter in diesem Verfahren stand fest, dass die Tat einschließlich des Mordes seit längerer Zeit geplant worden war. Der Anwalt von Florim dagegen meint, die Clique hätte im Vorfeld lediglich rumgealbert und "viel Mist rausgeschwätzt". Nur "vage" sei dabei auch über einen Mord gesprochen worden. Es habe sich dann eine verhängnisvolle Gruppendynamik entwickelt. Und da bei diesen Besprechungen auch Mädchen dabei waren, sei der Druck auf seinen Mandanten groß geworden, "es dann auch zu machen", formuliert Rung.

Der Verteidiger sieht sich auch durch das psychiatrische Gutachten bestätigt. Der Tübinger Psychiater Gunther Klosinski führe darin aus, dass die Planung der Tat eine Folge der Gruppendynamik war, sagt Rung. Demnach habe Martin eine Vorbildfunktion für Florim gehabt, der sich durch den Einbruch dem älteren Freund gleichstellen wollte. "Der Gutachter bestätigt, dass sich das Ganze hochgeschaukelt hat", meint der Anwalt. Klosinski attestiere seinem Mandanten volle Schuldfähigkeit und sei der Ansicht, dass Florim ein ganz normal entwickelter Jugendlicher ohne emotionale Reifeverzögerungen" sei.

Für den Ehemann der Ermordeten muss dies wie Hohn klingen. Er ist Nebenkläger im Prozess. "Für meinen Mandanten ist die Tat nach wie vor nicht nachvollziehbar", sagte sein Anwalt Dietmar Bartnick zu stern.de. "Er kann es einfach nicht begreifen, wie Jugendliche so etwas tun können." Die Anklage, so Bartnick, geht davon aus, dass Florim S. und Martin K. vom ursprünglichen Tatplan abwichen, das Opfer zu verscharren. Sie hätten stattdessen die Leiche von Daniela K verbrennen wollen. Mit einem Kanister Benzin seien sie kurz nach dem Mord zu der Wohnung zurückgekommen. Da aber bereits der Notarzt eingetroffen war, sollen sie den Kanister abgestellt und sich davongeschlichen haben. Bartnick: "Mir fehlen die Worte. Diese Kaltschnäuzigkeit dieser Jugendlichen ist einfach unbegreiflich."

Der Ehemann von Daniela K. ist mit der kleinen Tochter mittlerweile in eine andere Stadt gezogen. Den Fernseher hatten Florim S. und Martin K. damals übrigens in der Wohnung zurückgelassen.

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