Der Skandal um Kindesmissbrauch in katholischen Einrichtungen weitet sich einem "Spiegel"-Bericht zufolge immer weiter aus. Auch im westfälischen Werl sei es zu mindestens einem Missbrauchsfall gekommen, der vom zuständigen Bistum Paderborn jahrelang verschwiegen worden sei, berichtet das Nachrichtenmagazin. Der Sprecher des Erzbischofs Ägidius Engel räumte demnach ein, dass bereits im Juli 2002 ein Geistlicher des kirchlichen Jungen-Internats Collegium Aloysianum in Werl "kurzfristig von seinen Aufgaben entpflichtet" worden sei. Er sei zuvor in den Verdacht geraten, im Spätherbst 1980 "an einem minderjährigen Jungen sexuelle Handlungen vorgenommen zu haben". "Der Tathergang stellt sich uns bis heute als Einzelfall dar", teilte Engel mit. Das jahrelange Schweigen begründete das Bistum dem Bericht zufolge damit, dass das damalige Opfer "den Gang in die Öffentlichkeit beziehungsweise eine Anzeige nicht gewünscht" habe. Das Werler Knaben-Konvikt wurde demnach im Jahr 2005 geschlossen. Der beschuldigte Priester wirke heute als Hausgeistlicher in einem Altersheim für Nonnen.
Erzbischof Hans-Josef Becker äußerte sich bestürzt: "Das in den vergangenen Tagen bundesweite Bekanntwerden zahlreicher Missbrauchsfälle macht mich betroffen und fassungslos. Missbrauch und Pädophilie verletzen die Würde, Intimität und Integrität eines Kindes oder Jugendlichen schwer."
Mehrere Missbrauchsfälle im Erzbistum
Allerdings gab es in den vergangenen Jahren weitere Vorfälle im Erzbistum Paderborn. 2002 wurde ein Fall angezeigt, der sich auf Taten aus dem Jahr 1998 in einer Gemeinde bezog. Ein Dortmunder Vikar wurde im April 2003 zu sechs Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Zudem wurde er aus dem Priesteramt entfernt und darf nicht mehr im Bistum arbeiten.
Im September 2009 verurteilte das Dortmunder Landgericht einen ehemaligen Geistlichen des Erzbistums wegen Missbrauchs von Minderjährigen zu zwei Jahren auf Bewährung. Der Geistliche war bereits im Oktober 2002 wegen Ungehorsams vom Bistum suspendiert worden und trat im Dezember 2008 aus der Kirche aus. Danach soll er dem Urteil zufolge minderjährige Jungen aus der Szene am Dortmunder Bahnhof für Sex bezahlt haben. Er wurde 2009 exkommuniziert.
In den vergangenen Jahren gab es nach Angaben des Bistums zudem drei staatsanwaltschaftliche Verfahren gegen Priester des Erzbistums, die Kinderpornografie auf ihren Computern gehabt haben sollen.
Neue Details vom Canisius-Kolleg
Im Missbrauchsskandal am Berliner Canisius-Kolleg wurden laut "Spiegel" derweil weitere Details bekannt. So lag demnach dem früheren Rektor Karl Heinz Fischer bereits 1981 eine ausführliche schriftliche Schilderung der Missbrauchsvorwürfe gegen einen Jesuitenpater vor. Das brisante Dokument sei aufgrund der "Wichtigkeit des Gesamtkomplexes" offenbar unter Verschluss gehalten worden. Parallel dazu habe Fischers damaliger Vorgesetzter, Jesuitenprovinzial Rolf Dietrich Pfahl, die Versetzung des beschuldigten Pädagogen nach Niedersachsen angeordnet, wo der Mann jahrelang weiter mit Jugendlichen arbeiten konnte und wo sich offenbar weitere Missbrauchsfälle ereigneten.
Ex-Provinzial Pfahl will sich dem Bericht zufolge weder an das Schreiben noch an einen Missbrauchsverdacht generell erinnern. Mit dem Thema sei man damals umgegangen wie mit dem Kaiser von China, zitierte der "Spiegel" den 70-Jährigen. "Man wusste, dass es ihn gab, aber er war ganz weit weg." Gleichzeitig räumte er ein, den Beschuldigten Peter R. Anfang der 80er Jahre persönlich versetzt zu haben. Der Grund dafür seien seiner Erinnerung nach lediglich "Konflikte bei der Jugendarbeit" gewesen.