"Man muss sehr ruhig dagestanden haben", sagt am Dienstag eine Kriminalbeamtin vor dem Potsdamer Landgericht. Sie meint damit das Tatvorgehen der Pflegerin Ines Andrea R., die unter anderem wegen vier Messermorden an behinderten Menschen vor Gericht steht. Es sind punktförmige Blutspuren auf dem Boden, welche die Beamtin zu ihrer Schlussfolgerung brachten. Die Spuren hatte sie am Tatort im Oberlinhaus, einer Potsdamer Behinderteneinrichtung, gesichert.
Am ersten von zunächst zehn angesetzten Verhandlungstagen nach dem vierfachen Tötungsdelikt sind die Sicherheitsvorkehrungen hoch – eine Kontrolle am Eingang des Justizgebäudes, eine weitere direkt vor dem Verhandlungsaal. Das Interesse ist groß, neben zahlreichen Pressevertretern stehen auch Angehörige und Zuschauer in der Schlange vor dem Saal.
Die unfassbare Tat von Potsdam und der Tag danach – eine Stadt sucht nach Antworten

Die Angeklagte antwortet leise
Angeklagt ist die 52-jährige R., eine frühere Mitarbeiterin der Behinderteneinrichtung. Als alle Zuschauer schon sitzen, wird sie von einem Mitarbeiter der psychiatrischen Einrichtung, in der sie derzeit untergebracht ist, zum Platz geleitet. Zierlich, blond, gekleidet in einen schwarzen Cardigan und eine geblümte Bluse, nimmt sie neben ihrem Anwalt Platz.
Der Vorsitzende Richter Theodor Horstkötter fragt sie nach ihren Personalien. Sie antwortet leise, aber mit klarer Stimme – Ines Andrea R., in Rathenow geboren, in Potsdam wohnend, verheiratet. Die von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe wiegen schwer – heimtückischer Mord in vier Fällen und versuchter Mord in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.
Erwürgen war wohl zu anstrengend
R. soll am Abend des 28. Aprils zuerst versucht haben, zwei Menschen in der Einrichtung zu erwürgen. Einen Mann habe sie anschließend tot gewähnt. Von einer Frau habe sie abgelassen, weil es ihr zu "anstrengend" gewesen sei, schildert Staatsanwältin Maria Stiller, während die Angeklagte zu Boden blickt.
Danach habe sie aus ihrer Tasche ein elf Zentimeter langes Keramikmesser geholt und damit vier Menschen mit Behinderungen – zwei Frauen und zwei Männer im Alter zwischen 31 und 56 Jahren – getötet. Im Anschluss daran habe sie dies auch bei einer weiteren 43-jährigen Bewohnerin versucht. Die Frau überlebte dank einer Notoperation.
Kollegen waren anderweitig beschäftigt
R. arbeite laut Anklage im Spätdienst. Zwei Pfleger, die mit ihr arbeiteten, seien zur Tatzeit mit Verwaltungsarbeiten beschäftigt gewesen. "Die Angeklagte nutzte aus, dass die beiden Kollegen mit anderen Tätigkeiten beschäftigt waren", sagt Stiller. Ihr sei zudem bewusst gewesen, dass ihre Opfer schwer geschädigte Menschen waren - "Menschen, die sich nicht wehren konnten".
Als R. das Wort erhält, berichtet sie ausführlich über ihr Leben. Bis zur Scheidung wuchs sie mit den Eltern und einer Schwester auf. Schon als Kind habe sie unter Ängsten gelitten. "Ich verspürte eine tiefe Traurigkeit und Angst vor dem Leben, schon als Fünfjährige", sagt sie.
Suizidversuche und Therapien
R. berichtet von Gewalt in der Familie, zwei Suizidversuchen, verschiedenen Therapien sowie Aufenthalten in der Psychiatrie. Auch von ihren beiden Söhnen, von denen einer aufgrund einer Hirnhautentzündung schwerbehindert ist und der andere vor wenigen Jahren einen Hirntumor hatte, erzählt sie.
Seit 1986 arbeitete R. als Pflegehilfskraft, zuerst in einem Altenheim, dann ab 1990 im Oberlinhaus. Eine Ausbildung zur Krankenpflegerin brach sie ab. Die Pflegetätigkeit sei ihre "Berufung" gewesen. "Ich habe mir nie einen anderen Beruf vorstellen können", sagt sie.

"Sehr, sehr, sehr tiefe Schnitte"
Ein Kriminalbeamter zeigt dem Gericht Bilder von den Zimmern des zum Oberlinhaus gehörenden Thusnelda-von-Saldern-Hauses, in denen die Opfer von Polizisten entdeckt wurden. R. wurde unmittelbar danach unter dringendem Tatverdacht festgenommen. Das Tatmesser wurde auf einem Parkplatz in der Nähe gefunden.
Eine weitere Beamtin berichtet von Spuren, die auf massive Gewalteinwirkung hindeuteten – von "sehr, sehr, sehr tiefen Schnitten". Die Angeklagte schaut nach unten oder ins Leere, die Arme verschränkt. Nach einer ersten Einschätzung soll sie vermindert schuldfähig sein.