Prozess in München Die Oma-Betrüger

  • von Malte Arnsperger
Immer mehr Senioren fallen auf den sogenannten "Enkeltrick" herein. In München wurden nun die Anführer einer bundesweit agierenden Bande verurteilt. Ein seltener Erfolg, denn die Polizei hat immer weniger Chancen gegen die Verbrecher. Das hat technische und sogar medizinische Gründe.

Den Opfern wird ihr Name zum Verhängnis. Sie geraten ins Visier von Betrügern, nur weil sie Gertrud, Marga oder Elfriede heißen. Hinter diesen Vornamen vermuten die Ganoven alte Leute. Meist haben sie recht, locken die Senioren am Telefon in ihre Fallen und nehmen ihnen tausende von Euro ab. Auf den sogenannten "Enkeltrick" fallen immer mehr betagte Menschen herein.

Zwei, die angeblich schon seit Jahren dazu gehören, heißen Josef M. senior und Josef M. junior. Vater und Sohn sind nach Ansicht der Münchner Staatsanwaltschaft die führenden Köpfe einer Bande, die systematisch alte Menschen aus ganz Deutschland um ihr Erspartes gebracht haben soll. Der Prozess gegen das Duo ist eines der bisher größten und bedeutendsten Verfahren zu dieser Masche. Denn die beiden Männer, die jetzt vom Münchner Landgericht zu Haftstrafen von fünfeinhalb Jahren (M. senior) bzw 4 Jahren und 10 Monaten (M. junior) verurteilt worden sind, sollen gemeinsam mit ihren Komplizen über 100.000 Euro erbeutet haben.

Ihre Methode ist stets dieselbe: Aus dem Telefonbuch suchen sich die Täter gezielt Menschen mit altmodisch klingenden Vornamen heraus und melden sie sich dort meist nur mit "Hallo, ich bin's." Die folgenden Sekunden sind entscheidend: Fragen die Angerufenen skeptisch nach, haben sie noch eine Chance. Denn dann muss der Anrufer reagieren und gibt meist oft auf. Doch sobald Erna oder Irmtraud etwas Ähnliches fragen wie "Bist du es Peter?", sind sie in die erste Falle getappt. Denn mit dem Namen haben die gewitzten Ganoven einen Zugang zu ihren Opfern. "Na klar, ich bin's, Peter" antworten sie. Sie sind nun scheinbar Teil der Familie und damit vertrauenswürdig.

Die beiden Josefs haben den alten Menschen laut Anklage meistens vorgeschwindelt, sie seien bei einem Notar und bräuchten sofort Geld für einen Wohnungskauf. Denn es gebe Probleme, etwa bei der Überweisung. Beharren die Opfer darauf, kein Geld zu haben, enden die Gespräche in der Regel. In vielen Fällen lassen sich die Leute aber erweichen und unter Druck setzen, schließlich ist doch "der Peter" dran, ein enger Verwandter, der offensichtlich so dringend Hilfe braucht. Hilfsbereit plündern Erna oder Irmtraud ihr Sparkonto. Eine weitere Person, von "Peter" etwa als Mitarbeiter des Notars angekündigt, holt das Geld dann ab.

Ein perfekt organisiertes Verbrechen

Elfriede M. aus Viernheim ist eine von Tausenden, die jedes Jahr auf den Enkeltrick reinfallen. Bei ihr hatte im September 2010 "Conni", der Sohn ihrer Schwägerin, angerufen. 10.000 Euro wollte der für einen angeblich unmittelbar bevorstehenden Wohnungskauf. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass "Conni" in Wahrheit einer der beiden Angeklagten war. Elfriede M. glaubte damals den Beteuerungen und gab einer vermeintlichen Mitarbeiterin" des Notars die Summe. Geld, das eigentlich für die Altersvorsorge ihres behinderten Sohnes gedacht war.

"Die Täter machen den Opfern ein schlechtes Gewissen mit ihrer angeblichen Notlage und appellieren an die Gutmütigkeit und das Vertrauen der Menschen", sagt Helmut Rüster von der Opferorganisation Weißer Ring. "Es ist eine infame Methode"

Innerhalb der Tätergruppen, die meist als Familienbanden agieren, gibt es drei feste Positionen: Der sogenannte "Keiler spielt den "Enkel" Er muss akzentfrei Deutsch sprechen und ist für die Anrufe zuständig. Neben ihm sitzt der "Logistiker", der sofort reagiert, jemand angebissen hat. Er ruft dann seinerseits die "Läufer" an, die sich bereits am Wohnort des Opfers aufhalten, und dirigiert sie zur fraglichen Adresse, das deren Geld entgegenzunehmen. Währenddessen bombardiert der "Keiler" die Ahnungslosen mit Anrufen, um ihnen keine Gelegenheit zum Nachdenken zu geben.

Die Hintermänner des Enkeltricks sitzen dabei fast immer außerhalb Deutschlands, vorwiegend in Polen. Ihre Anrufe aus dem Ausland, zudem mit immer neuen Handy-Nummern ausgeführt, sind für die deutsche Polizei kaum abzuhören und zurückzuverfolgen. Die "Läufer" hingegen sind oft jung oder zumindest noch nicht vorbestraft. Sollten sie doch mal geschnappt werden, drohen ihnen somit nur geringe Strafen.

"Bei Europol stuft man die Methode inzwischen als organisierte Kriminalität ein, was sie zweifellos auch ist", sagt Joachim Ludwig. Er ist der "Mr. Enkeltrick" unter Deutschlands Polizisten. Der Kölner Kommissar beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dieser Masche und hat mehrere Fachaufsätze dazu veröffentlicht.

Ganoven erbeuteten Millionen

In ganz Deutschland, etwa in Karlsruhe, München, Köln oder Offenbach, gibt es mittlerweile Ermittlergruppen, die sich ganz auf Enkeltrick-Fahndungen spezialisiert haben. "Wir tauschen uns über die neuesten Erkenntnisse und die beteiligten Personen aus", sagt Christoph Schreiber vom Offenbacher Betrugsdezernat. Dieser Umstand hat im April 2011 letztlich auch zur Festnahme von Josef M. und seinem Sohn geführt. Zuvor hatten Offenbacher und Münchner Ermittler ihre parallel laufenden Fahndungen gegen das Duo zusammengelegt.

Die Masche boomt, wie Schreiber mit aktuellen Zahlen belegt: Demnach gab es im Jahr 2008 in Deutschland 2493 Fälle von Enkeltrickbetrug, 363 davon waren erfolgreich, die erbeutete Summe lag bei 3,5 Millionen Euro. Im Jahr darauf riefen die Betrüger laut Schreiber 6335 Personen an, bei 631 erreichten sie ihr Ziel und kassierten rund 6,4 Millionen Euro. Und allein im ersten Halbjahr 2011 erschwindelten sich die Betrüger bereits 3,7 Millionen Euro. "Dies sind aber nur ungefähre Zahlen. Denn häufig gehen die Opfer aus Scham nicht zur Polizei. Die Dunkelziffer dürfte deshalb viel höher liegen", sagt Schreiber.

Der Kölner Fahnder Joachim Ludwig ist sicher: "Die Enkeltricktaten werden nicht weniger werden." Grund dafür ist die steigende Zahl alter Menschen, gerade auch die mit Demenzerkrankungen. "Alte Opfer sind eine nachwachsende Resource für die Täter", sagt der Ermittler. "Und auch wenn diese Personen schon mal von dem Enkeltrick gehört haben, können sie dieses Wissen im entscheidenden Moment nicht abrufen, weil sie es vergessen haben." Zudem wollen sich die Betroffenen oft nicht die Blöße geben, dass sie jemanden aus ihrem direkten Umfeld nicht mehr erkennen. Aus diesen Gründen schätzt Ludwig die Erfolgsaussichten von Warnungen der Bevölkerung als ziemlich gering ein. "Es ist eine Illusion zu glauben, dass man die Taten mit Prävention eindämmen kann."

Um so mehr betonen Ludwig und Schreiber, wie wichtig das richtige Handwerkszeug für ihre Ermittlungen ist. Dazu gehört insbesondere die Telefonüberwachung. Doch die schärfste Waffe der Ermittler ist nach dem Urteil des Verfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung abgestumpft: "Die Telefondaten der Täter sind seit dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung für uns viel schwieriger zu bekommen", sagt Schreiber. "Manche Netzbetreiber speichern die Daten zwar noch ein paar Tage. Bei der Telekom sind das aber nur noch die rechnungsrelevanten Details, die uns nicht helfen. Und die allermeisten Opfer sind Telekomkunden."

Gertrud, Marga oder Elfriede sind eben meist schon etwas älter. Nichts Neues für die Enkeltrickbetrüger.

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