Stalking-Prozess Das Telefon als Waffe

Von Kety Quadrino
Der arbeitslose Maurer Oliver P. hat rund 40 Familien mit Telefonanrufen belästigt
Der arbeitslose Maurer Oliver P. hat rund 40 Familien mit Telefonanrufen belästigt
© Colourbox
Ein Jahr lang hat ein 34-Jähriger ein ganzes Dorf im Taunus terrorisiert. Sein Telefon gebrauchte er als Psycho-Waffe, belästigte vierzig Familien mit tausenden Anrufen. Der Mann wurde zu fast drei Jahren Haft verurteilt. Doch der Stalker ging in Berufung - mit einer absonderlichen Begründung.

"Ihr Haus könnte angezündet werden" raunte der Unbekannte in den Hörer. Oder: "Ich weiß, wo Ihre Kinder spielen". Ein Jahr lang lebten die Bürger des beschaulichen Dorf Rettert bei Koblenz in Angst und Schrecken. Ein Mann bedrohte und beschimpfte sie am Telefon, zum Schluss des Gesprächs aber wollte er immer nur eins: Die Telefonnummer von Kathrin J., die seit kurzem in der Gemeinde lebte. Durch sie kam heraus, wer hinter der Angstmache steckte: Oliver P., ein arbeitsloser Maurer aus Leipzig. Von August 2004 bis August 2005 soll er etwa vierzig Familien mit Anrufen belästigt haben - manche bis zu hundert Mal am Tag, im Sekundentakt.

Landgericht Koblenz entscheidet über Berufung

Oliver P. gab die Vorwürfe zu. Im November 2006 wurde er vor dem Amtsgericht Diez wegen Verstoßes gegen das "Gewaltschutzgesetz" in 3 481 Fällen und wegen Nötigung, Bedrohung und Beleidigung zu zwei Jahren und neun Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. "Der Angeklagte hat das Telefon zur Waffe gemacht", begründete der Richter sein Urteil. Oliver P. erhob gegen das Urteil Einspruch. Nun will das Landgericht Koblenz sein Urteil im Berufungsverfahren fällen.

Der Grund für den Telefonterror war seine unerwiderte Liebe Kathrin J., die 2004 nach Rettert gezogen war - auf der Flucht vor dem penetranten Verehrer. Im Jahr 2000 hatte sie Oliver P. in einer Spielothek in Leipzig kennengelernt, wo sie als Angestellte arbeitete. Für den arbeitslosen Maurer ist sie "die Liebe meines Lebens", wie er bereits dem Amtsrichter in Diez erklärte.

Doch sie kann mit seinem nachdrücklichen Werben nichts anfangen, aus der flüchtigen Bekanntschaft wird bald ein Martyrium. Er ruft ständig an, auch am Arbeitsplatz. 2003 kündigt sie ihre Arbeit und zieht nach Wiesbaden, wo sie einen neuen Job in einer Spielothek findet. Oliver P. legt auch hier den Geschäftsbetrieb durch seine ständigen Anrufe lahm, sodass Kathrin J. nach Limburg in eine andere Filiale zwangsversetzt wird. Oliver P. belästigt auch hier Kollegen, bis die Situation eskaliert.

Arbeitskollegen machen Kathrin J. für den Terror verantwortlich. Kathrin J. verliert ihren Job. 2004 zieht sie in das abgelegene Rettert, dort wähnt sie sich in Sicherheit. Ein Irrtum. Oliver P. findet sie. Sie versucht es mit einer einstweiligen Verfügung, die es dem Stalker verbietet, sie weiter zu belästigen. Selbst ein Dutzend zivilrechtlicher Verfahren bringen nichts, der verschmähte Liebhaber macht einfach weiter.

Kathrin J, zieht nach wenigen Monaten wieder aus Rettert weg, der Telefonterror allerdings bleibt – und trifft jetzt die Nachbarn. Um sich gegen Oliver P. zu wehren erwirken auch sie über das Gewaltschutzgesetz eine einstweilige Verfügung, das dem Stalker untersagt, sie weiterhin anzurufen oder zu belästigen. Bei Verstoß drohen ihm eine Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe, doch das schreckt Oliver P. nicht ab. 3481 Fälle – genau so oft hatte Oliver P. nachweislich Bürger der Gemeinde terrorisiert. Oliver P. fand das Strafmaß von zwei Jahren und neun Monaten Haft ohne Bewährung trotzdem zu hoch und ging deshalb in Berufung. So lange blieb er frei.

Verfahren hat Modellcharakter

Die Einwohner von Rettert sind immer noch schlecht auf Oliver P. zu sprechen. "Dieser Mann soll endlich von der Bildfläche verschwinden", sagt der Bürgermeister des 500-Einwohner-Orts, Ulrich Diefenbach. Er wirkt sichtlich gereizt, er kann das Thema "Oliver P." nicht mehr hören. Zu lange schon haben sich die Bewohner damit befassen müssen. "Wir versuchen das ganze so schnell wie möglich zu vergessen", sagt er. Jemand, der sich so verhalte, müsse psychisch krank sein. Doch die Sachverständigen im Gerichtssaal halten Oliver P. für voll schuldfähig. "Er kann zwischen Recht und Unrecht entscheiden", sagt Anwalt Roman Kasten, der die Familie Pfeifer als Nebenkläger vertritt. Das verhalten des Mannes komme ihm vor wie eine Art Zwangshandlung. Kasten kennt sich aus mit Stalkern. Einen Fall "in dieser Dimension" habe er aber noch nie erlebt, sagt der erfahrene Jurist. Das Verfahren habe Modellcharakter.

Zwei Familien treten als Nebenkläger auf. Familie Pfeifer und Familie Kabel waren von den Anrufen des Stalkers besonders betroffen. Rund 660 Anrufe waren bei ihnen zwischen dem 10. Juli und dem 11. August 2005 eingegangen, zum Teil mit wenigen Sekunden Abstand. 64 Anrufe in einer guten Stunde. Alle stammten von derselben Nummer. Kabels Computer registrierte im Juli an einem einzigen Tag gar 360 Anrufe. Noch heute leiden die Betroffenen unter den psychischen Schäden. Sie haben Angstzustände, Depressionen. "Ich zucke noch immer jedes Mal zusammen, wenn das Telefon klingelt!", sagt Heike Pfeifer in einer TV-Sendung im Mai. Für die Familie sei diese Zeit "die Hölle" gewesen, eine "seelische Folter" die sie alle kaputt machte. "Ich will, dass er uns einfach in Ruhe lässt."

Kurz bevor das Landgericht Koblenz sein Urteil spricht, halten sich die Familien in der Öffentlichkeit mit Äußerungen zurück. Familie Pfeifer und Familie Kabel trauen sich nicht mehr mit der Presse zu sprechen, aus Angst, dass er das gegen sie verwenden könnte. "Wir wollen keine Reizpunkte setzen, die ihn veranlassen könnten, wieder aktiv zu werden", sagt Anwalt Kasten.

Denn: Oliver P. räumte die Taten vor Gericht ein, sieht jedoch nicht die Familien als Opfer, sondern sich selbst. Er könne "die Härte des Urteils nicht nachvollziehen", klagte er vor dem Landesgericht in Koblenz. "Ich war von den Bewohnern aus Rettert beleidigt worden, darauf habe ich reagiert", so Oliver P. Zudem hätten die Familien eine Medienkampagne gegen ihn gestartet. Um diesen Vorwurf zu überprüfen, werden deshalb sämtliche Fernsehberichte über den Vorfall Oliver P. präsentiert, um nach möglichen Provokationen gegenüber dem Angeklagten zu suchen.

Stalker könnte in Revision gehen

Kathrin J. ist unterdessen untergetaucht. Sie will ihrem Peiniger keine Chance mehr geben, sie zu finden. Doch in Rettert gingen die Anrufe auch weiter, als Oliver P. 2006 verurteilt wurde. Sein letzter Anruf bei den Familien in Rettert datiert auf Mai 2007, - der Monat, als vor dem Landgericht das Berufungsverfahren begann, das dann allerdings ins Jahr 2008 geschoben wurde. Selbst wenn das Urteil gegen Oliver P. bestätigt wird, muss der Albtraum für die Familien damit noch kein Ende haben. Der Stalker könnte den vollen Rechtsweg ausschöpfen - und in Revision gehen.

In Rettert gibt es wohl inzwischen so viele Geheimnummern wie in keinem anderen Dorf in Deutschland. "Die Angst ist geblieben, dass alles wieder von vorn beginnen könnte", sagt Anwalt Roman Kasten.

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