Die wochenlang entführte Stephanie aus Dresden muss im Prozess gegen ihren Peiniger und mutmaßlichen Vergewaltiger nicht mehr aussagen. Das Gericht erklärte nach Rücksprache mit den Prozessbeteiligten, auf die Vernehmung des Mädchens könne verzichtet werden. Stattdessen solle nun die polizeiliche Vernehmung in den Prozess eingeführt werden. Stephanies Anwälte hatten zuvor erklärt, nach der Flucht des Angeklagten Mario M. auf das Dach seines Gefängnisses sei ihre Mandantin entgegen ursprünglichen Äußerungen zu einer Zeugenaussage nicht mehr in der Lage. Sie fürchte sich davor, ihrem Peiniger im Gerichtssaal zu begegnen.
Bis zum Zugriff vergingen mehrere Stunden
Eine an der Festnahme beteiligte Beamtin sagte beim dritten Prozesstag vor dem Dresdner Landgericht, der Angeklagte sei bei seiner Festnahme überrascht gewesen und habe keine Gegenwehr geleistet. Stephanie schilderte sie als sehr starke und beeindruckende Persönlichkeit. Die Polizeibeamten räumten zugleich ein, dass bis zum Zugriff mehrere Stunden vergingen.
Verhandelt wurde erneut unter starken Sicherheitsvorkehrungen. Mehrere Justizbedienstete einer speziellen Sicherheitsgruppe brachten den Angeklagten an Händen und Füßen gefesselt in den Gerichtssaal - lediglich die Handfesseln wurden ihm dort zeitweise abgenommen. Zuschauer wurden gründlich auf Waffen oder waffenähnliche Gegenstände untersucht.
Stephanie behielt Teddy in der Hand
Die Polizistin sagte weiter aus: "Stephanie war ziemlich erleichtert, das merkte man." Sie habe insgesamt einen sehr gefassten und psychisch stabilen Eindruck gemacht für jemanden, der so etwas Grausames habe durchmachen müssen. Sie berichtete auch, wie sie die 13-Jährige, die nur dürftig bekleidet war, aus der Wohnung trug und wie das Mädchen während der ganzen Zeit und auch später bei den Vernehmungen einen kleinen Teddy in der Hand hielt.
Stephanie habe das Plüschtier in der Wohnung des Angeklagten gefunden. Es sei für sie eine Stütze gewesen in den schweren Stunden. Bei ersten Fragen nach möglichen sexuellen Übergriffen seien dem Mädchen die Tränen in die Augen gestiegen. In der Vernehmung machte Stephanie den Zeugenangaben zufolge einen sehr gefassten Eindruck. Die Polizistin und ein weiterer Beamter bestätigten, dass die Polizei erst durch einen von Stephanie heimlich geschriebenen Zettel auf den Angeklagten aufmerksam wurde. Bis zu dem Tag habe es keine heiße Spur gegeben.
Die Befreiung Stephanies schilderte ein Beamter als bewegenden Moment nach wochenlanger erfolgloser Suche. "Das war ein unbeschreibliches Gefühl." Er habe selbst immer gehofft, dass das Mädchen noch gefunden werden könne, aber zuletzt kaum noch daran geglaubt. Die Beamten räumten auch ein, dass zwischen dem Fund des Zettels gegen 9.45 Uhr und dem Öffnen der Tür um 12.38 Uhr mehrere Stunden vergingen und zuvor sogar ein Schlüsseldienst gerufen wurde. Die Beamten verteidigten das umstrittene Vorgehen und erklärten, es habe so ausgesehen, als ob niemand in der Wohnung gewesen sei.
Mario M. war nur mit einem Slip bekleidet
Die Zeugen berichteten, der Angeklagte habe selbst die Tür geöffnet, als die Polizei sich gerade mit Hilfe des Schlüsseldienstes Zutritt verschaffen wollte. "Er wirkte überrascht, war nur mit einem Slip bekleidet", sagte die Beamtin. Der Angeklagte selbst hatte zuvor behauptet, die Festnahme erwartet zu haben.
Der Vater von Stephanie, der in dem Verfahren als Nebenkläger auftritt, verfolgte den Prozess erstmals direkt im Gerichtssaal. Mehrfach schaute er ohne erkennbare äußere Regung zum Angeklagten. Sichtlich bewegt hörte er die Berichte über die Freilassung. Am Rande des Prozesses sagte er: "Klar bewegt einen das als Vater des Opfers". Er hoffe, dass der Prozess nun ordentlich über die Bühne gehe und der Angeklagte seine gerechte Strafe erhalte.
Der 36-jährige Peiniger von Stephanie hatte zu Prozessbeginn gestanden, Stephanie im Januar entführt, in seiner Wohnung fünf Wochen festgehalten und immer wieder vergewaltigt zu haben. Während der Verlesung der Anklage hatte er randaliert. In der vorvergangenen Woche war er seinen Bewachern während eines Hofganges entkommen und auf das Dach des Gefängnisses geklettert. Von dort konnte er erst nach mehr als 20 Stunden heruntergeholt werden. Der einschlägig Vorbestrafte hatte mit der Kletteraktion eine Vertagung des Prozesses erzwungen. Die Sicherheitsvorkehrungen waren anschließend drastisch verschärft worden.