Very British Die Lust auf "Trouble" wächst

In Nordirland spielen sich ungewöhnliche Szenen ab: Nach den Anschlägen durch zwei IRA-Splittergruppen demonstrieren Katholiken und Protestanten gemeinsam gegen Gewalt. In den armen Vororten von Belfast und Londonderry aber wächst eine Generation nach, die wieder Lust auf Gewalt hat.

Sie standen zu Tausenden auf den Marktplätzen überall in Nord-Irland: Katholische Republikaner an der Seite von protestantischen Loyalisten und Menschen, die sich keiner Religion zugehörig fühlen, Lehrer neben Lastwagenfahrern, Politiker neben Polizisten. Und sie schwiegen. Fünf Minuten lang.

Die Mehrheit der Nord-Iren stellte ihre Trauer und ihren Abscheu nun der kleinen Minderheit entgegen, die den Bürgerkrieg durch die Morde an zwei Soldaten und einem Polizisten wieder anfachen will. Den schnell hingeschmierten Graffiti entlang der Mauern zwischen katholischen und protestantischen Straßenzügen, die zu einem "neuen Krieg" aufrufen und Briten verfluchen, streckten die Demonstranten schweigend Friedens-Plakate entgegen: "Keine Morde mehr", "Kein Zurück" und sogar "Vereinigte Loyalisten für Frieden - wie wär’s damit?". Der Träger dieser Botschaft nannte die Mörder "einen Haufen Idioten mit ein paar Waffen". Und ein Ex-IRA-Mitglied sagte in Belfast ins Mikrofon einer Reporterin: "Diese Idioten sollten verstehen, dass ein Bürgerkrieg nicht sexy ist, er besteht nur aus Tod und Gefängnis. Wir verdienen besseres!" Er sagte, seine Generation sei vor 35 Jahren hineingezogen worden in eine Spirale aus Gewalt und dies solle einer neuen Generation erspart bleiben. Die Täter, so seine Bilanz, seien nur "verklärte Gangster", nicht mehr.

Cornelia Fuchs

London ist der Nabel der Welt und Europa immer noch "der Kontinent". stern-Korrespondentin Cornelia Fuchs beschreibt in ihrer wöchentlichen stern.de-Kolumne das Leben zwischen Canary Wharf und Buckingham Palace, zwischen Downing Street und Notting Hill.

Dass Mitglieder der inzwischen aufgelösten IRA sich so klar gegen die Dissidenten aus ihren eigenen Reihen äußern, ist ungewöhnlich. Geholfen hat dabei auch die Reaktion ihrer Gegner. Der Anführer der "Ulster Defence Association" in Belfast, Jackie McDonald, zum Beispiel, pries plötzlich die Worte seines Erz-Gegners, des ehemaligen IRA-Kämpfers und jetzigen Vize-Premiers Martin McGuiness. Der hatte Anfang der Woche die Attentäter als "Verräter der ganzen Insel" gebrandmarkt und seine Anhänger aufgefordert, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Angesichts solch klarer Worte versprachen die Loyalisten, dass "keine Gefahr der Vergeltung" bestände, ihr Anführer McDonald sagte: "Wir sind alle erwachsen geworden in den vergangenen Jahren."

Nord-Irland ist näher zusammengerückt nach den Attentaten. In Belfast haben zum ersten Mal der republikanische Bürgermeister Tom Hartley und die Vertreter der Loyalisten miteinander gesprochen. Die Gespräche seien "ermutigend" gewesen, sagte Hartley.

Ein anderes Bild ergibt sich in den ärmeren Vorstädten von Belfast oder Londonderry. Hier finden sich junge Männer, gekleidet in gestreiften Trainingshosen und Kapuzenpullis, der typischen Uniform arbeitsloser britischer Teenager. Sie preisen vor den Fernseh-Kameras der BBC die Mörder und sagen, sie hoffen auf eine Wiederkehr der "Troubles", wie der irische Bürgerkrieg in Großbritannien genannt wird. Dann lassen sie sich dabei filmen, wie sie Steine auf vorbeifahrende Autos schmeißen. Der Tageszeitung "Guardian" erzählt ein 18-jähriger, dass er viele Freunde und Nachbarn habe in seinem Vorort in Nord-Belfast mit Lust an der Gewalt: "Sie langweilen sich, sie bekommen Sozialhilfe, sie haben nichts zu tun." Mit Politik habe das alles wenig zu tun, sagt er.

Diese Teenager sind höchstens das Fußvolk, das die Gruppen der "Wahren IRA" und der "Fortdauernden IRA" brauchen, um ihre Anschläge zu planen. Ausgeführt werden sie offensichtlich von Veteranen, die den Krieg nicht aufgeben wollen. Das dritte Opfer der neuesten Anschläge, der Polizist Stephen Carroll, wurde zum Beispiel durch einen gezielten Schuss in den Hinterkopf getroffen. Der Schütze könnte bis zu 50 Metern weit entfernt gewesen sein. Die Polizei geht davon aus, dass er "sehr cool, ruhig und gesammelt" gewesen sei, ein erfahrener Scharfschütze.

Polizei sucht nach einer geschmuggelten Bombe

Der "Guardian“ meldete nun, dass die irische und nordirische Polizei nach einer Bombe suchen, die in den vergangenen Tagen über die irisch-irische Grenze geschmuggelt worden sei. Hinweise, wo diese Bombe eingesetzt werden soll, gebe es bis jetzt nicht. Erst im vergangenen Jahr wurde ein 150 Kilogramm schwerer Sprengsatz in einem verlassenen Auto gefunden und konnte entschärft werden. Die nordirischen Sicherheitskräfte hoffen nun, dass Hinweise aus der Bevölkerung auch in diesem Fall einen Einsatz der Bombe verhindern helfen.

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