Steinigungen, Burka, Schulverbot
"Sie sind die ersten Opfer": Was müssen Frauen unter den Taliban jetzt fürchten?
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Nadia Nashir-Karim telefoniert derzeit rund um die Uhr – mit ihren Mitarbeitern und Flüchtlingsfamilien in Afghanistan. Die 46-Jährige hat vor 20 Jahren den Afghanischen Frauenverein in Hamburg mitgegründet. Sie und ihre Mitarbeiterinnen engagieren sich insbesondere für Frauen und Kinder in den Provinzen Afghanistans – ihre Stimmung ist angespannt.
„Wir müssen schauen, wie die Zukunft ist, wie das mit den Taliban mit der Arbeit bei uns in den Provinzen ist. Aber wir entscheiden von Stunde zu Stunde und von Tag zu Tag. Aber momentan können wir arbeiten.“
Die Schule in Kundus läuft derzeit reibungslos weiter. Auch zwei Kliniken bei Kabul sind weiterhin in Betrieb. Nur wenige Projekte wurden aufgrund von Sicherheitsmaßnahmen vorerst auf Eis gelegt. Der Verein hat schnell auf die Lage vor Ort reagiert und richtet derzeit mobile Kliniken ein, um die Binnenflüchtlinge zu versorgen.
„Ich habe gerade eben mit einer Flüchtlingsfamilie gesprochen, die aus Balon geflohen ist mit acht Kindern. Sie ist in medizinischen Notcamp: Ich kann nicht wieder zurück, Haus ist zerstört durch Krieg. Tausende sind Binnenflüchtlinge, um sie kümmern wir uns. Für Frauen ist das schwierig, sie leiden am meisten.“
Als die Taliban von 1996 bis 2001 an der Macht waren, schränkten sie die Rechte der Frauen massiv ein. Sie durften nicht zur Schule gehen, nicht arbeiten. Das Haus durften sie nur mit männlicher Begleitung verlassen – wenn dann nur mit Burka. Teilweise wurden Frauen sogar öffentlich gesteinigt.
Stern-Redakteurin Cornelia Fuchs war kurz nach dem Fall der Taliban 2002 für Recherchen in Afghanistan.
„Ich habe damals eine junge Apothekerin getroffen, die während der Taliban heimlich mit ihrem Vater Pharmazie gelernt hat und im Grunde studiert hat. Die stand jetzt in der Apotheke ihres Vaters. Wenn sie rausging, hat sie immer noch die Burka angezogen. Aber sie war vollkommen frei. In der Apotheke hat sie mit uns geredet. Sie hat Pläne geschmiedet für die Zukunft. Das war etwas, was sofort angefange n hat. Und diese Normalität dieses Lebens ist halt immer größer geworden. Wenn jetzt gesagt wird, dass 20 Jahre umsonst waren – für Frauen waren diese 20 Jahre nicht umsonst…..viele Mädchen können viel mehr machen aus ihren Träumen als sie es noch vor 20 Jahren konnten.“
Diese Träume sind nun in Gefahr. Die Befürchtung ist groß, dass die Taliban wieder die Rechte der Frauen einschränken werden. In einer Pressekonferenz haben die Taliban zwar angekündigt, sich für die Rechte der Frauen einzusetzen – sie könnten in der Gesundheit, Bildung und anderen Bereichen tätig sein – Cornelia Fuchs hat da aber ihre Zweifel.
„Die Taliban haben damals von 1996 bis 2001 die allerhärteste und frauenfeindlichste Auslegung der Scharia gewählt…Es ist halt die Frage, wie sie die Interpretation vornehmen. Ich habe aber nicht sehr große Hoffnungen, dass das liberaler ist als das, was von 1996 bis 2001 passiert ist gegenüber Frauen. Es kann sein, dass sie in der Wirtschaft liberaler sein werden, weil sie vielleicht verstanden haben, dass ein Staat von heute nicht in der Steinzeit funktionieren kann und vielleicht, auch weil sie gesehen haben, dass es besser ist, wenn ein Staat wirtschaftlich funktioniert. Aber was zwischenmenschlich und was Frauenrechte angeht und auch Menschenrechte habe ich nicht besonders viel Hoffnung, dass sich da viel geändert hat.“
Nadia Nashir-Karim will sich auch unter den Taliban weiterhin für die Frauen und Kinder in Afghanistan engagieren. Ihre größte Sorge ist, dass das Land wieder im Krieg versinken könnte.
„Meine Hoffnung ist in erster Linie der Friede, und natürlich dass die Frauen weiterhin ihre Rechte erhalten. Dass sie zur Schule gehen können, weil Bildung ist ein ganz wichtiger Schwerpunkt…..und man muss unser Personal auch schützen. Dennoch arbeitet unser Personal mit großem Risiko und großen Engagement. Und das sind die großen Helden, die sagen, ich muss für mein Land da sein. Das ist natürlich ganz wichtig. Und meine Hoffnung ist, dass es weitergeht.“