So schnell bringt die Aufpasser des Hay-Festivals nichts mehr aus der Ruhe. Sie haben in den vergangenen Jahren Bill Clinton in ihre Zelte geführt und Salman Rushdie, als dieser ständig Todesdrohungen erhielt. Und so haben sie auch keine Probleme, die Sicherheitsleute des Präsidenten a.D. Jimmy Carter nach deren Ausweisen zu fragen, als diese hinter dem weißhaarigen Politiker in das Zelt gehen wollen, in dem er vor Publikum zu seiner Friedenspolitik befragt werden soll.
Der so aufgehaltene Agent zeigt ungehalten auf das eingestickte Emblem auf seiner Weste: "Das ist das Zeichen für Geheimdienst", herrscht er den Aufpasser an. "Woher soll ich das wissen, ist ja nicht umsonst geheim, oder?", herrscht dieser zurück. Auf dem Festival von Hay sind weder Aufpasser noch Besucher um einen Kommentar verlegen. Deswegen sind die meisten hier - sie können die Literaten und Politiker, die Memoirenschreiber und Komödianten nicht nur anhören, sie können auch nachbohren. Auf jeder Veranstaltung beginnt nach einer halben Stunde das Ritual mit den Mikrofonen, die an die Fragesteller im Publikum gegeben werden.
Cherie Blair im Kreuzverhör
Ex-First-Lady Cherie Blair, zum Beispiel, wurde von einer Dame aus dem Publikum gefragt, warum sie glaube, die Medien für das Eindringen in ihr Privatleben kritisieren zu können, wenn ihr Mann sogar die Nachricht ihrer Fehlgeburt sofort an die Öffentlichkeit gegeben habe. So erzählt es Cherie Blair in ihren Memoiren. "Nun", antwortete Frau Blair. "Das verstehen Sie falsch. Das mussten wir bekannt geben. Sonst hätte unsere plötzliche Absage des Familienurlaubs Anfang 2003 zu Gerüchten eines bevorstehenden Einmarsches in den Irak geführt. Das ist das Problem eines Lebens im Licht der öffentlichen Meinung." Der schwache Applaus zeigte, dass nicht alle im gefüllten Zelt von dieser Argumentationsführung überzeugt wurden.
Warum Frauen besser kochen, Männer aber berühmt werden
Das Hay-Festival ist bekannt dafür, dass hier die Menschen auf der Bühne wieder greifbar werden. Dass sie mehr preisgeben als in geschliffenen Interviews der Spätabend-Shows im Fernsehen. Jamie Oliver erzählte hier, dass Frauen generell die besseren Köche seien, aber Männer eben besser protzen könnten und deshalb den Beruf dominierten. Hanif Kureishi erklärte einer zukünftigen Studentin seines Schreibkurses am Kingston University College, dass er grundsätzlich allen Teilnehmern 71 von 100 Prozent gebe und sowieso glaube, dass diese Kurse eine Art Irrenanstalt der Moderne geworden seien.
Und Salman Rushdie erinnerte sich fast gedankenverloren an die schwierige Zeit der Fatwa, als die permanente Todesbedrohung seinen Verstand geschärft hätte: "Herauszufinden, gegen was ich kämpfte, war einfach – da waren Leute, die mich töten wollten, und da stellte ich mich natürlich entschieden gegen. Schwieriger war es schon, klar zu umreißen, wofür ich kämpfte – für die Redefreiheit, die Freiheit des Geistes. Diese Klarheit half mir in dieser Zeit herauszufinden, was für eine Person ich wirklich war."
Als das Hay-Festival vor 21 Jahren in einer alten Schule zum ersten Mal stattfand, standen fast so viele Menschen auf und hinter den Bühnen wie davor. Es war selbstverständlich, dass die ersten Gäste von Arthur Miller bis zu Salman Rushdie persönlich mit jedem Besucher sprechen konnten. Das ist natürlich heute nicht mehr so, das Festival hat sich kommerzialisiert und vergrößert. Es ist so seine eigene Marke geworden und hat in den vergangenen Jahrezehnten selbt Stars hervorgebracht. Jumpha Lahiri etwa las hier das erste Mal vor einer größeren Zuschauermenge, ebenso Yann Martel und DBC Pierre. Ihre Bücher wurden danach zu Bestsellern.
Gemeinsames Ziel: Bestsellerliste
Dieses Jahr hat sich das Festival weiterer Talente angenommen. Es sind keine unbekannten Schriftsteller auf dieser Liste der 21 Hay-Debütanten. Aber alle 21 haben eines gemeinsam: Es ist ihnen noch nicht gelungen, die Welt zu erobern, oder, um präziser zu sein, die Bestseller-Listen in England und den USA.
Hoffnungsträger Daniel Kehlmann
Einer dieser 21 Hoffnungsvollen ist Daniel Kehlmann, ein Star in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern, von englischen Literaturkennern mit guten Kritiken überhäuft. Doch sein Buch "Die Vermessung der Welt" hat noch nicht die Zahl der Leser in England gefunden, die ihm zusteht, findet der Leiter des Hay-Festivals, Peter Florence: "Das britische Lesepublikum ist ziemlich fremdenfeindlich. Wir wollen mit Leuten wie Daniel Kehlmann zeigen, dass es Bücher da draußen gibt, die sich lohnen. Auch, wenn sie nicht Englisch als ihre Originalsprache haben!"
Daniel Kehlmann wird sich am 1. Juni in Hay-on-Wye den Fragen des Publikums stellen, zusammen mit John Irving, Ian McEwan, Siri Hustved und Bruno Ganz, als eine Art krönender Abschluss nach zehn Literaturfest-Tagen. Es gibt noch Karten unter www.hayfestival.com