Am 12. Mai hätte Madeleine Beth McCann ihren 17. Geburtstag gefeiert. Hätte sie alle Kerzen auf ihrem Kuchen mit einem Atemzug ausgepustet? Über welche Geschenke hätte sie sich gefreut? Wie würde sie heute wohl aussehen? Und wie sich ihr Lachen anhören? In Gedanken an ihre geliebte Tochter dürften Kate und Gary McCann Tag um Tag, Jahr um Jahr, unzählige Konjunktive durchgespielt haben. Der Sprecher der Familie, Clarence Mitchell, sagte, die Eltern hätten weiterhin Hoffnung, Madeleine lebendig in die Arme schließen zu können. Dass sie das tun, sei, wie stern-Redakteurin Cornelia Fuchs im ZDF-Talk "Markus Lanz", erzählte, eine Überlebensstrategie, die sie mit Hilfe von Trauma-Psychologen erarbeitet hätten. Dem Gedankengang folgend: "Solange wir keine Beweise haben, wissen wir nicht, was passiert ist, und gehen davon aus, dass sie noch lebt."
Die Eltern nannten sie Madeleine
Fuchs hat sechs Jahre lang aus London über alles berichtet, was die Briten bewegt, bevor sie 2013 die Leitung des Auslandressorts übernahm – sie hat den Fall Madeleine McCann von Anfang an intensiv verfolgt und traf das Ärzte-Ehepaar – Gary gehört zu den besten Herzchirurgen des Landes – im Jahr 2011 zu einem längeren Gespräch. Die McCanns hätten ihre Tochter übrigens nie "Maddie" gerufen. "Der Name 'Maddie' ist eine Erfindung der Boulevardmedien; die Eltern nannten sie immer Madeleine", sagte die Journalistin. Auch sie habe, wie wohl die meisten, das Ehepaar immer als sehr gefasst erlebt. "Fast schauspielernd", so Fuchs. Was daran liege, dass die McCanns ihre öffentlichen Auftritte zwei, drei Tage vorher immer ganz genau geprobt hätten. Um nicht von ihren Gefühlen überwältigt zu werden. Auch hier habe psychologischer Rat geholfen: "Es hieß, dass es den Täter hinaufzieht, wenn er die Eltern leiden sieht." Und genau das sollte vermieden werden. Obwohl es sie viel kostete, tauchten die beiden immer wieder öffentlich auf: "Sie wollten das Thema unbedingt in die Medien halten."
Am 3. Mai 2007 verschwand Madeleine, nur wenige Tage vor ihrem vierten Geburtstag, spurlos aus einer Ferienwohnung in Portugal. Dass Lanz dem Fall Maddie in seiner Sendung auf seiner Agenda besonderes Gewicht gab, liegt daran, dass es nun neue Spuren gibt: Der verurteilte deutsche Straftäter Christian B. steht unter dem Verdacht, das Mädchen ermordet zu haben. Über den Täter und sein Profil wusste der Journalist Sebastian Eder zu berichten: "Er wurde, gemeinsam mit zwei anderen Jungs, von einem Ehepaar adoptiert, später kam er in ein Heim für schwer erziehbare Kinder." Bereits 1994 sei er verurteilt worden, da er eine Sechsjährige missbraucht habe. Er beging weitere Sexualstraftaten an Kindern und vergewaltigte unter anderem eine damals 72-jährige Amerikanerin. Momentan sitzt Christian B. in Kiel im Knast, wegen Drogenhandels, zwei Drittel seiner Strafe hat er bereits abgesessen.
2013 gab es erste Hinweise auf B.
In einer Sendung von "Aktenzeichen XY … ungelöst" aus dem Jahr 2013 habe es, so Fuchs, "erste Hinweise gegeben, dass es um diesen Mann geht". Ein Mann, der mit einem etwa vierjährigen Kind auf seinem Arm zum Strand hinuntergeht – das Kind ist mit einem Schlafanzug bekleidet. "2017 kam dann die entscheidende Spur ins Spiel", führte Eder weiter aus. Christian B. habe mit einer Bekannten in einer Bar gesessen, vor der er sich gebrüstet habe, er habe Maddie entführt. Inzwischen haben Ermittlungen offenbar ergeben: Das von ihm damals benutzte Handy soll in der Nähe des Tatorts eingeloggt gewesen sein, er habe eine halbe Stunde lang telefoniert.

Ab welchem Punkt waren die Ermittlungen im Sande verlaufen? Für Fuchs gibt es keinen Zweifel: "Es wurden bereits am Anfang Fehler gemacht." Das Appartement sei, zwischendurch wohl von anderen Familien bewohnt, erst Wochen später forensisch untersucht worden. Hinweise, wie etwa der von Mutter Kate, dass die Zwillinge, die auch in dem Zimmer lagen, aus dem Madeleine entführt wurde, sediert worden seien, sei man nicht nachgegangen. Um den Fall schnell abschließen zu können, habe sich die Polizei dann auf die Eltern als Verdächtige eingeschossen. "Später kam heraus, dass die Polizei sie nie wirklich verdächtigt hatte, sondern einfach zu einem Ende kommen wollte." Damals habe man Kate, die die stern-Redakteurin eine "außergewöhnliche Frau" nennt, elf Stunden lang am Stück befragt, um sie zu einem Geständnis zu zwingen.
Maddies Geschwister sind Teenager
Wie schaffen Eltern es, diese Ungewissheit seit über 13 Jahren durchzustehen? "Die beiden haben unterschiedliche Strategien", erklärte Fuchs. Für Gary, den Pragmatischen, sei es wichtig, eine Aufgabe zu haben, indem er die Suche nach seiner Tochter organisiert und in verschiedenen Ländern ein Netzwerk aufbaut. Kate habe ihren Beruf als Hausärztin aufgegeben, sie kümmere sich um demenzkranke Menschen und vor allem um die Familie. Madeleines Geschwister, die Zwillinge, sind in der Öffentlichkeit nie aufgetaucht. Sie sind inzwischen Teenager. Und wie alle Geschwister hätten sie sicher gute gemeinsame Zeiten mit ihrer großen Schwester erlebt, gemeinsam gelacht und Blödsinn gemacht – und auch immer wieder mal Streit gehabt. Hätten.