Very British Raus aus der Zwangsehe

Verschleppung, Schläge, Zwangsheirat: In Großbritannien steigt der Zahl erzwungener Hochzeiten stark an. Nun wurde ein Gesetz dagegen erlassen. Das Dilemma: Die Opfer müssen sich gegen ihre eigenen Verwandten stellen, vielen geht der Schritt zu weit - wie einer 33-jährigen Ärztin aus Bangladesch.

Humayra Abedin war eine Tochter, auf die ihre Familie eigentlich hätte stolz sein können. Mit 33 Jahren hat sie nach einem Medizinstudium in Bangladesch ein Zusatzstudium an der Universität von Leeds erfolgreich abgeschlossen, sie steht kurz vor der Zulassung als Hausärztin in London und arbeitet bereits in den Krankenhäusern der Hauptstadt. Sie liebt Bollywood-Filme und hat einen großen Freundeskreis.

Sie fühlte sich zu einem Hindu hingezogen

Dr. Abedin, bei ihren Freunden auch bekannt unter dem Namen Dorothy, war beliebt. Und das war wohl das Problem für ihre Eltern, den Geschäftsmann Mohammed Joynal Abedin und seine Frau.

Humayra soll sich hingezogen gefühlt haben zu einem Mann in London, einem Bangladeschi zwar, aber aus einer hinduistischen Familie. Das konnten die muslimischen Eltern nicht zulassen. Bereits im Sommer begannen sie, starken Druck auf ihre Tochter auszuüben. Die Mutter reiste mit einem Onkel aus Bangladesch an, sie hielten die junge Frau in ihrer eigenen Wohnung fest und bedrohten sie. Schon damals schaltete sich die Polizei ein, nachdem sie von Freunden auf die Freiheitsberaubung aufmerksam gemacht wurde.

Cornelia Fuchs

London ist der Nabel der Welt und Europa immer noch "der Kontinent". stern-Korrespondentin Cornelia Fuchs beschreibt in ihrer wöchentlichen stern.de-Kolumne das Leben zwischen Canary Wharf und Buckingham Palace, zwischen Downing Street und Notting Hill.

Die britische Polizei versucht seit Jahren, dem Problem der erzwungenen Heiraten im Land Herr zu werden. In Städten wie Bradford, in denen eine große Minderheit der Einwohner pakistanische Ursprünge haben, sind Sondereinheiten dafür abgestellt, verzweifelten Zwangsheiratskandidaten zu helfen.

Die Polizisten lernen, mit den komplizierten emotionalen Verwicklungen in Zwangsheiratsfällen umzugehen - oft wollen die Kinder ihre eigenen Eltern nicht anzeigen. Die Polizei musste im Laufe der Jahre lernen, dass in manchen Fällen nur die Hilfe zur Ausreise in ein anderes Land die Opfer vor der Rache ihrer Familie schützen kann, zu weitläufig sind oft die Familienverbindungen in Großbritannien selbst. In Bradford arbeitet die Polizei deswegen mit Kollegen in Schweden zusammen, die im Ernstfall junge Frauen und Männer in schwedischen Gemeinden unterbringen, bis die größte, unmittelbare Gefahr in Großbritannien entschärft ist.

In den ersten neun Monaten dieses Jahres wandten sich mehr als 1300 Menschen an die Beratungsstelle des Außenministeriums, die in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsdienst und der Polizei Hilfe anbietet. Doch viele Opfer, so die Meinung von Experten, wenden sich an keine Behörde. Isoliert und in Angst um das Verhältnis zu ihren Eltern, trauen sie sich nicht, Hilfe bei Polizei oder bei Beratungsstellen zu suchen.

Die Freunde wussten, unter welchem Druck sie steht

Humayra Abedin war nicht isoliert. Ihr großer Bekanntenkreis wusste um den Druck, den ihre Familie auf sie ausübte. Und doch schützte sie das nicht vor Schlimmerem. Im August wurde sie von ihren Verwandten nach Dhaka, Bangladesch, gerufen - angeblich sei ihre Mutter schwer erkrank. Doch kaum bei ihrer Familie angekommen, wurden ihr Pass und Kreditkarten abgenommen. Angeblich wurde sie geschlagen, geknebelt und gefesselt. Die Eltern wiesen sie sogar in ein psychiatrisches Krankenhaus ein - die Tatsache, dass sie einen hinduistischen Freund habe, zeige, dass ihr Geist verwirrt sei.

Drei Monate lang hörte niemand in Großbritannien etwas von Humayra Abedin. Dann kam eine Email. "Ich wünschte, ich könnte dich noch einmal sehen!", schrieb sie ihrem Freund. "Das ist mein einziger Wunsch. Bitte versuch mir zu verzeihen, wenn du kannst. Bitte, hasse mich nicht. Mein Leben ist bereits ruiniert. Mich kümmert es nicht mehr. Ich will mich nur noch umbringen, weil es nichts mehr gibt, wofür ich leben kann. Ich wollte mit dir alt werden. Das wird nun nie passieren."

Doch die junge Ärztin hatte Glück im Unglück. Im November, zwei Monate, nachdem ihre Familie ihren Pass konfisziert hatte, verabschiedete das britische Parlament ein neues Gesetz gegen Zwangsheiraten. Damit kann nun vor Gericht eine einstweilige Verfügung erwirkt werden, die jedem unter Androhung einer Haftstrafe verbietet, zum Zwecke einer Zwangsheirat einer Frau oder einem Mann den Pass zu entziehen oder ihn festzuhalten. Auch werden Einschüchterungsversuche zum Zwecke einer Heirat unter Strafe gestellt. Jeder, der anderen dabei hilft, eine Zwangsheirat zu organisieren, kann bis zu zwei Jahre ins Gefängnis kommen. Und Eltern können vom Gericht gezwungen werden, den Aufenthaltsort ihrer Kinder anzugeben.

Auch in Bangladesch kam der Fall der jungen Ärztin vor Gericht. Ihre Cousine stellte sich gegen die eigene Verwandtschaft und beantragte eine Untersuchung des Falles. Die Eltern in Dhaka ignorierten die Aufforderung des Obersten Gerichtshofs in Bangladesch jedoch viermal, endlich mit ihrer Tochter vor dem Richter zu erscheinen. Da entschied sich die britische Anwältin von Humayra zu handeln - sie erwirkte in London eine einstweilige Verfügung gegen die Eltern mit der Androhung von Haftstrafen in Großbritannien.

Die Eltern bekamen Angst vor der Aufmerksamkeit

Diese Verfügung ist zwar in Bangladesch juristisch nicht wirksam - aber das Signal schien in diesem Fall zu reichen. Die Eltern bekamen Angst vor der geballten juristischen Aufmerksamkeit aus Bangladesch und England. Nun erschien eine nach außen gefasste Humayra vor dem Richter Syed Mahmud Hosssain. Und der fällte ein eindeutiges Urteil: Das Verhalten der Eltern sei "nicht akzeptabel". Sie wurden aufgefordert, ihrer Tochter sofort den Pass auszuhändigen und sie freizulassen. Humayra Abedin flog noch am selben Tag Richtung London. Ihre Eltern, so sagte sie vor Gericht, will sie aber nicht weiter juristisch belangen lassen.

Die Sonderstelle im britischen Außenministerium bearbeitet währenddessen weiter hunderte Fälle verzweifelter Söhne und Töchter. Ein junges irakisches Mädchen ist seit einem Jahr verschollen. Vermutlicher Aufenthaltsort: irgendwo in ihrem Herkunftsland.